Irgendwann Mitte der 80er Jahre sah ich eine Dokumentation über Mark David Chapman, von der mir vor allem eines im Gedächtnis haften blieb: dass sein Handeln stark von der Seelenverwandtschaft mit Holden Caulfield beeinflusst worden sei. Als Heranwachsender mit einem gewissen Interesse an Literatur konnte ich also gar nicht anders, als kurz darauf selbst den Fänger im Roggen zu lesen.
Es wird niemanden überraschen, dass ich schwer beeindruckt war (vielleicht auch ein wenig glaubte, es sein zu müssen), und in der Tat ging ich gar so weit, erstmals überhaupt auch noch die englische Originalversion eines Buches zu lesen (was damals noch etwas Geduld erforderte, weil Amazon noch nicht täglich eine Fuhre Bücher nach Deutschland brachte). Kurz: ich wurde sowas wie ein Fan, wenn auch ohne Gewaltfantasien.
Einige Zeit später stellte mein Englischlehrer die Klasse vor die Wahl, Animal Farm, Brave New World oder The Catcher in the Rye zu lesen. Es kam, wie es kommen musste: Animal Farm kannten manche aus dem Fernsehen und hielten es für ein Kinderbuch, Brave New World sagte niemandem etwas, und da der Catcher in the Rye zumindest einen glühenden Befürworter hatte, fiel die Entscheidung recht schnell.
Oh, wie ich das bereut habe. Vielleicht lag es ein Stück weit auch am Lehrer oder an der Tatsache, dass die Herangehensweise im schulischen Unterricht einfach eine andere ist als im heimischen Jugendzimmer; letztlich glaube ich aber, dass es in erster Linie um den Verlust an Exklusivität ging: ich wollte nicht hören, wie meine Mitschüler über “meinen” Fänger im Roggen diskutierten, für ihn schwärmten, ihn meinetwegen auch beschimpften. Hätte ich meinen Enthusiasmus für mich behalten, hätte es womöglich nicht über 10 Jahre gedauert, bis ich das Buch erstmals wieder in die Hand nahm.
Salinger selbst hat, wie wir seit seinem Tod vor zwei Tagen allenthalben lesen können, sehr viel für sich behalten. Oder zumindest nicht in die Öffentlichkeit getragen. Seit Mitte der 50er Jahre hat er so gut wie keine Interviews gegeben, seit 1965 nicht mehr veröffentlicht – obwohl er weiterhin schrieb, wie er 1974 in einem Interview mit der New York Times deutlich machte:
Klingt irgendwie ungewohnt in diesen Tagen, dass jemand etwas schreibt und es nicht mit einem “Share this”-Button versieht. Etwas ernsthafter betrachtet ist es natürlich eine sehr spannende Frage, welche Werke in all den Jahren aus dieser Liebe zum Schreiben heraus entstanden sein mögen, und vermutlich werden wir früher oder später die eine oder andere Veröffentlichung in die Finger bekommen.
Ob ich diese dann lesen möchte, werde ich wohl zu gegebener Zeit entscheiden müssen. Vielleicht will ich meinen Salinger gar nicht mit andere Werken in Verbindung bringen, vielleicht will ich nicht ein zweites Mal meine Begeisterung riskieren. Mal schauen. Vielleicht fühle ich mich auch gerade nur in meine Adoleszenz zurückversetzt und argumentiere dementsprechend. Das Beste wird sein, zunächst einfach mal wieder den Fänger im Roggen zu lesen. Und Indochine zu hören.
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Gestern Nacht spielte ich mit dem Gedanken, einen Eintrag über Salinger zu schreiben. Nun bin ich froh, es nicht getan zu haben. Der Bessere von beiden steht hier.
“I love to write. But I write just for myself and my own pleasure.”
Ich habe nach der Saison 2007/08 einige Monate nur für mich gebloggt. Das Veröffentlichen machte keinen Spaß mehr, das Schreiben aber schon. Also fast wie früher, als es kein Internet gab und mein Tagebuch zu Hause in der Schublade lag. Die Gedanken aus diesem Tagebuch wollte ich mit keinem Menschen teilen – und das war rückblickend betrachtet auch besser so. Ich würde heute das Zeug, das ich in meiner Jugend geschrieben habe, auch nicht mehr lesen wollen. Die Bücher, die ich damals gelesen habe, sind dagegen heute noch wichtig.
Ob Salinger gut daran getan hat, seine Gedanken nicht mehr zu teilen? Wie schade wäre es, wenn Goethe nach “Werther”, Wagner nach “Rienzi” oder Edward Hopper nach “Sunday” geschrieben, komponiert und gemalt, aber nicht mehr veröffentlich hätten.
[…] angedacht »Auch mal was für sich behalten« […]
@Kid:
Danke (auch wenn ich bezüglich der Sache mit dem besseren Text Zweifel hege).
Gerade bei Blogs haben wir ja die Situation, dass es von “Ich schreibe nur für mich” bis zu “Ich schreibe für ein möglichst breites Publikum (und entsprechende Werbeeinnahmen)” alle Nuancen vorfinden. Ich lebe diesbezüglich möglicherweise in einer Illusion: dass der Großteil der Blogs, die ich regelmäßig lese, in allererster Linie eine gewisen Freude am Schreiben entsprungen ist, und dass diese Motivation auch heute noch die primäre Triebfeder ist. Dass man dabei das eine oder andere Zugeständnis an die Erwartungen der Leserinnen und Leser macht: geschenkt.