Bommel statt Delling

Ich würde nicht so weit gehen, mich als Fan von Mark van Bommel zu bezeichnen, aber als Bewunderer muss ich mich wohl beschimpfen lassen. Das gilt umso mehr nach dem gestrigen Viertelfinale der Niederländer gegen Brasilien. Nicht dass er dabei absolut überragend gespielt hätte. Er war gut, ja, spielerisch nicht sonderlich auffällig, in Sachen Zweikampf vor allem in der zweiten Halbzeit vielleicht spiel- und stilprägend, einfach präsent. Man kann den Standpunkt vertreten, er hätte irgendwann eine gelbe Karte sehen müssen, vielleicht muss man diesen Standpunkt gar vertreten, wenn man es mit den Regeln genau nimmt. Wobei mich diese wiederkehrenden Diskussionen über ausbleibende Verwarnungen für van Bommel oder andere mitunter an jene erinnern, warum Spieler X (in Stuttgart beispielsweise Tiffert oder Hilbert) sich nicht nur bei einem Trainer, sondern bei mehreren nacheinander durchsetzt, allen Unkenrufen zum Trotz. Irgendwas müssen diese Spieler richtig machen, um immer wieder zum Zug zu kommen, genau wie sich van Bommel allem Anschein nach und vor allem in den Augen sehr vieler Schiedsrichter im Rahmen des – manchmal gerade noch – Erlaubten bewegt. Von den gerne mal unterstellten Qualitäten beim Erbringen homoerotischer Dienstleistungen halte ich in solchen Kontexten übrigens wenig.

Nochmal: van Bommel hat gut gespielt gegen Brasilien, aber nicht so gut, dass ich mich deswegen bemüßigt fühlen würde, meine Bewunderung zum Ausdruck zu bringen. Zumal der aufmerksame Leser oder die geneigte Followerin bereits das eine oder andere Mal Gelegenheit hatte, meine Meinung zu van Bommel zu erfahren oder zumindest zu erahnen. Meines Erachtens werden seine fußballerischen Fähigkeiten häufig unterschätzt, weil andere Aspekte, auf die so mancher Beobachter gierig wartet, um wahlweise ihn selbst, den Schiedsrichter oder am liebsten beide anzuklagen, alles andere in den Hintergrund drängen. Geht mir genauso, wenn der VfB gegen die Bayern spielt, aber da muss ich wohl als befangen gelten.

Doch wie gesagt, weder um die Rolle als “Aggressive Leader” noch um seine spielerischen Fähigkeiten soll es hier in erster Linie gehen. Erstere sind unstrittig, letztere sollten es auch sein. Er hat sie bei PSV jahrelang eindrücklich unter Beweis gestellt, in Barcelona zumindest dann, wenn er die Gelegenheit dazu erhielt, und in München bescheinigen ihm objektive Beobachter durchaus ansprechende Leistungen. Gestern indes hat er mich wieder einmal nach dem Spiel beeindruckt. Wer in der Lage ist, 15 Minuten nach dem Abpfiff eben nicht nur das von sich zu geben, was in der Regel reicht, um einen Spieler als intelligent und eloquent wahrzunehmen, also ein paar Sätze vom erwartet starken Gegner, der eigenen mannschaftlichen Geschlossenheit und dem Blick auf den nächsten schweren Gegner, sondern vielmehr das Spiel in seine Einzelteile zerlegt, Stärken und Schwächen beider Mannschaften aufzeigt und nebenbei ganz unaufgeregt seine Verwunderung über die Ansetzung eines japanischen Schiedsrichters zum Ausdruck bringt, hat meinen hohen Respekt. Netzer hin, Scholl her, Klopp sonstwohin: mein Analyst Nummer Eins bei dieser WM heißt Mark van Bommel. Er hat das Spiel verstanden, und das zeigt er auf wie neben dem Platz.

Vielleicht bin ich doch ein Fan.

Im Übrigen habe ich mich sehr über die großartige WM des Artist currently known as Prince gefreut, aber das nur am Rande.

0 Gedanken zu „Bommel statt Delling

  1. Er hatte gestern nachem Spiel sicher in einigen Aussagen sehr recht, aber seine Kritik am Schiri konnte ich nicht nachvollziehen.

  2. Bei seinen Aussagen zum Schiri konnte ich den ersten Satz aufgrund technischer Probleme nicht verstehen. Es klang für mich wie “Beide Mannschaften mussten gegen den Schiedsrichter spielen”, was ich nicht recht nachvollziehen könnte. Ich fand ihn nur bedingt souverän, aber alles andere als schlecht.

    Genau wie van Bommel hatte ich mich indes im Vorfeld gewundert (und tue es noch immer), das man für dieses Spiel einen Japaner ansetzt. Allerdings ist das ein sehr schwaches Argument angesichts einer laufenden WM, deren bisher bester Schiedsrichter möglicherweise aus Usbekistan stammt.

  3. Mark van Bommel kann ein Spiel lesen und hat das Spiel verstanden, absolute Zustimmung.
    Und er bläst sehr gut, hat mir ein befreundeter Schiedsrichter mal zugetragen.

  4. Ja über Schiris im Allgemeinen muss man nicht reden, ist halt doof, wenn zwei Mannschaften aus den besten Verbänden gegeneinander antreten, dann pfeift ein Schiri aus einem anderen. Da haben sich die Asiaten bisher am Besten geschlagen, wie der Guatemalteker gestern abend gezeigt hat.

  5. Schön, mal wieder von Dir zu hören.

    Bei van Bommel bin ich sehr ambivalent: auf dem Spielfeld ist er für mich die Drecksau, die ich selbst in der eigenen Mannschaft nur mit Bauchschmerzen bewundern würde (das aber schon). Da ich die Bayern eher wenig leiden kann, finde ich seine Spielweise in der Anzahl seiner Karten unterrepräsentiert. Abseits des Spielfeldes fällt mir in Deutschland kein weiterer Spieler ein, der so uneitel, so selbstkritisch und mit so viel Sachverstand über Fußball redet. (Seine Äußerungen nach dem Brasilienspiel hab ich nicht gehört.) In diesem Punkt also: d’accord.

    P.S.: Ich hab mich auch sehr über die großartige Rolle gefreut, die der Balina Junge in seiner Mannschaft nach so kurzer Zeit schon spielte.

    P.P.S.: Hübsche Referenz an eine gewisse Facebook-Gruppe in der Überschrift.

  6. Man erkennt ob man Bommel-Fan ist an folgendem Test:

    Wie nennst Du Mark van Bommel?

    a) agressive Leader
    b) Drecksack
    c) Schlitzohr

    A) Du bist Trainer beim FC Bayern?
    B) Du bist kein Fan
    C) Du bist ein Fan von Bommel

  7. @ jon dahl:
    Satz oder Halbsatz?

    @ keano:
    Schön, das zu hören 🙂

    Insgesamt scheinen wir also nicht weit auseinander zu liegen. Abgesehen davon, dass ich ihn fußballerisch für unterschätzt halte. Mehr Karten darf er gern bekommen – und am liebsten gegen den VfB die 5. und 10., von mir aus auch die 15., absitzen.

    Das Thema der Facebook-Gruppe ist ja nach wie vor akut, oder gab’s schon einen guten direkten Freistoß der Deutschen bei der WM?

    @ STP 1910:

    Hm, das verhilft mir noch nicht zu einer klaren Aussage. Der Begriff “aggressive Leader” gefällt mir nicht, “Schlitzohr” käme mir bei van Bommel nie in den Sinn, und “Drecksack” trifft’s eigentlich auch nicht. Zumal letztgenannter Begriff ja recht nahe an der “Drecksau” ist, die spätestens seit Matthias Sammer positiv besetzt ist – was dann wieder gegen die Deutung “kein Fan” spräche…

  8. @probek:
    Der Gestank hängt meines Erachtens von der Frequenz der Selbstverlinkungen und von der (Nicht-)Relevanz der Verlinkung für den kommentierten Beitrag ab. Deshalb: ich rieche nichts.

    Wobei ich nur sehr wenige der von Dir genannten Herren als “Stinker” bezeichnen würde. Aus der ersten Elf lediglich Koeman und Materazzi, und unbedingt Angelo di Livio.

  9. Ich weiß immer noch nicht, in wie weit ich dir zustimmen soll. Einerseits ist van Bommel ohne Zweifel ein sehr guter Spieler, der das Spiel verstanden hat, da bin ich voll bei dir. Andererseits finde ich es merkwürdig, das an seinen (aus sicht vieler Beobachter: zu) wenigen gelben Karten festzumachen.

    Müsste man dann nicht auch andererseits sagen: Marko Marin hat in der abgelaufenen Saison nur eine gelbe Karte wegen unsportlichem Verhalten bekommen. Folgerichtig “schwalbt” er nicht, sondern hat halt nur verstanden, wie er auf legale Weise viele Freistöße rausholt?

    Mir gefällt beides nicht, deshalb ist es für mich auch eher ein “trotz” als ein “deswegen”.

  10. @Tobias:
    Oh, es lag mir fern, eine Korrelation oder gar Kausalität zwischen der (zu?) geringen Zahl gelber Karten und “er hat das Spiel verstanden” herzustellen.

    Zwar denke ich, dass er mitunter zu sehr auf seine Fouls reduziert wird, und halte es auch für eine Qualität, zu wissen, wie weit man allem Anschein nach gehen kann; die Aussage “er hat das Spiel verstanden” wollte ich indes unabhängig von den gelben Karten verstanden wissen (ohne zu unterschlagen, dass das eine oder andere seiner Fouls damit zu tun hat, dass er -möglicherweise besser als andere- recht gut absehen kann, was passieren könnte, wenn er nicht foulen würde).

    Und jetzt nochmal meine Meinung in Kürze:
    Ja, er bekommt zu selten gelb.
    Nein, das Missverhältnis ist nicht so extrem, wie es mitunter dargestellt wird.
    Unabhängig davon ist er ein sehr guter Fußballspieler mit außergewöhnlichem taktischen Verständnis.

  11. Das Finale war eher ein Beweis für van Bommels Missachtung des Spiels. Da kann er nich so gut am und in der Taktik sein. Das was er gestern zeigte überlagert einfach die spielerische Leistung.

  12. @Stp1910:
    Nachvollziehbar. Auch wenn es schon Spiele gab, bei denen er sich in Sachen Fouls deutlicher von seinen Mitspielern und einem Teil der Gegenspieler abhob…

    Nach gut 20 Minuten kann er sich ganz sicher nicht beschweren, wenn er vom Platz muss, zumindest aber muss beim Ribéry-Gedächtnisfoul gegen Iniesta gelb-rot kommen. (Wobei ihn dann Iniesta hätte begleiten müssen, was nicht im Sinne der FIFA… ähem)

    Nette Randnotiz, dass gerade während des gestrigen Spiels ein erklärter van Bommel-Gegner ungefragt einräumte, dass dieser doch ganz gut kicken könne.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert