Kevinismus

Der verdienteste Meister seit was weiß ich wann. Naja. Klingt wie the greatest Olympic Games ever held. Nur beträgt dort die Halbwertszeit in aller Regel wenigstens 4 Jahre.

Was soll der Quatsch? Dortmund ist ein verdienter Meister. Hochverdient, meinetwegen. Genau wie die Bayern letztes Jahr. Wolfsburg davor. Bayern. Stuttgart. Bayern. Und so weiter. Wer am 34. Spieltag vorne steht, hat es (sich) verdient. Manchen gönnt man es mehr, vielleicht, weil sie so schön gespielt haben, so viele junge, möglicherweise gar selbst ausgebildete Spieler im Kader und auf dem Platz hatten, weil sie eben nicht Bayern heißen oder schon lange mal dran waren bzw. es so lange nicht mehr gewesen waren, anderen gönnt man es vielleicht weniger. Den Dortmundern scheinen es viele eher mehr zu gönnen. Geht mir auch so.

Sie machen es einem ja auch leicht. Großartiger Fußball, junge Kerle, eloquenter und – auch wenn sich da die Geister ein klein wenig scheiden – sympathischer Trainer mit viel Sachverstand. Nuri Sahin, was für eine Geschichte. Und was für ein Talent, was für ein taktisches Gespür. Mario Götze, den man gemeinsam mit Mesut Özil und Thomas Müller das Offensivspiel der deutschen Nationalmannschaft bestimmen sehen möchte und sicherlich auch wird. Sven Bender, Mats Hummels, Lucas Barrios und natürlich der großartige Kagawa.

Ich rede um den heißen Brei herum, es muss heraus: ich bin ein Kevin-Großkreutz-Fanboy. So ein bisschen zumindest. Oder auch ein bisschen mehr. Spätestens seit dem Rückrundenauftakt in Leverkusen, eigentlich aber schon seit seinem Länderspieldebüt im Mai 2010. Sicher, war nur gegen Malta, aber da zeigte einer, dass er kicken kann. Machte das Spiel schnell, hatte offensichtlich Spaß, leitete zwei Treffer ein. In Leverkusen schoss er sie selbst.

Natürlich kenne ich die Vorbehalte, die Großkreutz entgegengebracht werden. Aus Gelsenkirchen, vor allem, und auch aus München, wenn ich meine Twitter-Timeline mal als repräsentativ betrachte. Die einen sehen in ihm ein natürliches Feindbild, die anderen halt einen derjenigen, die ihnen die Schale wegnehmen. Wird ja wieder anders, wenn dann nächstes Jahr, mit der Doppelbelastung und so… kann man nicht einfach mal gratulieren und das nächste Jahr das nächste Jahr sein lassen? Entschuldigung, ich war ja bei Kevin Großkreutz. Kevin. Eignet sich prima für Unterschichtenwitze. Und dann passt er vielleicht auch noch in dieses Bild. Gibt möglicherweise beim einen oder anderen Interview eine unglückliche Figur ab, lästert eventuell ein wenig über die Konkurrenz. Ja, vermutlich kann man mit ihm nur bedingt über Quantenphysik diskutieren. Passt. Kann man mit mir nämlich auch nicht.

Keine Frage, über seine Scharmützel mit Schalkern kann man geteilter Meinung sein, oder nicht einmal das. Die werden ihm vielleicht irgendwann auf die Füße fallen. Möglicherweise muss er sich auch dereinst fragen lassen, ob es klug war, sich bei zahlreichen Gelegenheiten quasi auf Lebenszeit zur Borussia zu bekennen, seine mit der Muttermilch aufgenommene Bindung an den BVB wieder und wieder zu betonen – vermutlich nicht selten ermuntert von den Medien, für die die Story vom Jungen, der von der Südtribüne kam, um sich nur wenige Jahre später von der Südtribüne bejubeln zu lassen, pures Gold ist. Vermutlich kommt irgendwann der Tag, an dem er Dortmund verlassen will, und dann werden all die schönen Bild- und Tondokumente wieder heraus gekramt und ihm aufs Brot geschmiert werden. Manuel Neuer kann ein Lied davon singen. Aber was ist die Alternative? Soll ein junger Spieler wie Großkreutz, wie Neuer, wie Dennis Eilhoff in Bielefeld, sein Fantum verschweigen, herunterspielen, um sich weniger angreifbar zu machen? Natürlich schießt man im jugendlichen Überschwang auch einmal über das Ziel hinaus, Großkreutz vielleicht noch mehr als Neuer oder Eilhoff, aber hey: ist doch großartig, dass da einer seine Identifikation mit dem Verein, der Region, dem Stadtteil vor sich herträgt! Wenn er dann irgendwann glaubt, doch noch die Welt sehen zu müssen: gut so.

Oh, ich wälze hier hypothetische Probleme. Von denen ich nicht weiß, ob sie je entstehen. Dabei wollte ich doch nur sagen, dass ich Kevin Großkreutz klasse finde. Den Fußballspieler, in allererster Linie. Und irgendwie auch den jungen Mann, der, wenn man der Presse glauben darf, das Herz sowohl auf der Zunge trägt als auch am rechten Fleck hat. Klingt nach einer anatomischen Herausforderung.

Neulich habe ich irgendwo ein Foto von ihm gesehen. Wie er da so durch die Stadt ging, in seinem Anorak,mit dem langen Haar, erinnerte er mich ein wenig an Theo Gromberg. Ja ja, ich weiß, der war aber für Westfalia Herne. Und vermutlich ist es ziemlich doof, einen Jungmillionär mit dem eher tragischen Helden Theo zu vergleichen. Aber es geht mir nicht mehr aus dem Kopf.

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=4ewMWUQCb3E]

Falls übrigens jemand meint, ich könne gar nicht beurteilen, ob man mit Kevin Großkreutz über Quantenphysik diskutieren kann, so hat er recht. Was ich indes weiß: bei denjenigen, die seine Website betreuen, ist es mit Mathematik nicht allzu weit her:

16 Gedanken zu „Kevinismus

  1. Schöner Beitrag, auch wenn ich kein Kevin Großkreutz Fanboy bin (und weder Schalker noch Bayer bin).
    Ich finde es durchaus interessanter, die Bekundungen zum Heimatverein von “Schon gegangenen” zu hören, wie z.B. von Khedira, für den der VfB immer noch der Verein seines Herzens ist. Aber auch ein Gomez ist mit dem Herzen noch in Stuttgart, wie man aus manchen Interviews noch heraushören kann. Jüngst hat sich sogar Hleb wieder gemeldet.

    Da habe ich lieber z.T. Weltklassespieler, die Gutes über unseren VfB reden als leere Versprechungen, lebenslang hier zu bleiben.

  2. @Thomas
    Bei Gomez hat mir das Herz geblutet, als er so drastisch beim Pokalspiel gegen Bayern ausgebuht und ausgepfiffen wurde. Das war echt nicht schön.

    Ich hoffe, das wird übernächstes Jahr anders sein, wenn Khedira mit Real nach Stuttgart zurückkehrt.

    @heinzi
    Das war der besteste Beitrag seit mindestens letzter Woche. Gratulation!

  3. Bin da völlig bei Euch. Ich freu mich über die Entwicklung der beiden (wenn auch in Madrid deutlich mehr als in München) und habe genau wie hirngabel recht wenig Verständnis, wenn Gomez in der Form ausgepfiffen wird.

    Schöne Perspektive übrigens, das mit Khedira.

  4. Ich mag den Kevin irgendwie. Aus Unterhaltungsgründen. So, wie ich den früher Stuttgart/jetzt Moskau Kevin auch mochte. Und den Lukas.
    Eloquenz, genau.

    Ist das ein bisschen gemein? Vermutlich. Aber als Fan eines Vereins, bei dem bis vor kurzem der Trainer die schönsten Dinge gesagt hat, und dafür entlassen wurde, darf man das. Oder?

  5. In letzter Zeit schreibt heinz öfter Beiträge, die direkt aus meinem Hirn kommen könnten. Denn auch ich bin Großkreutz-Fanboy, wie ich ja auch schon den selben ersten Helden mit heinz teilte, wie ich auch Gomez eigentlich immer mochte (was sich allerdings gerade zu ändern scheint).

    Nur wäre es bei mir natürlich nicht auch noch so adrett in Worte gefasst wie hier.

    Ansonsten sagt mir meine weibliche Intuition, dass sich die Liga ohne Typen wie Großkreutz bei ihrem Scriptschreiber beschweren müsste. Die Frequenz der Nutzung von “geil” geht meinen Ohren zwar auch ein wenig auf den Schmalz, aber ansonsten mag ich das sehr, was er neben dem reinen Spiel produziert. Wobei das Schöne ist, dass man bei Großkreutz zur Zeit auch das reine Spiel mögen kann.

  6. Von Fußballern erwarte ich keine staatstragenden Sätze, wie sie ein Metzelder gerne mal von sich gibt.
    Wenn ein junger Spieler deutlich zu verstehen gibt, Meister werden zu wollen, sehe ich darin nichts Verwerfliches.

  7. Hinkel ist der einzige Ex-VfBler, dem ich es auch wirklich 100%ig abnehme. Der ist als Kind schon stolz wie Oskar mit seinem VfB-Trainingsanzug durch Leutenbach gelaufen. Hinkel ist auch der einzige Spieler, wegen dessen Abschied ich ein Tränchen verdrückt habe (andere Tränenanlässe: Pokalsiegerfinale 1998, CL-Einzug beim Balakov-Abschied 2003, Meisterschaft 2007 2-3 Tage später beim Anschauen der letzten 5 Minuten und Schalenübergabe auf dem Platz).

    Khedira hat auf mich immer einen deutlich karriereorientierteren Eindruck als Hinkel gemacht, von daher nehm ichs ihm nur tlw. ab. Hinkel (10) und Khedira (8!) kamen aber beide schon sehr, sehr früh zum VfB.

    Hleb, Gomuc? No way. Kamen beide zu spät und Gomuc war in seiner Kindheit lt. eigener Aussage Fan von Eintracht Frankfurt.

    1. Ich erwarte von niemandem, dass er seine Karriere von 8 bis 38 beim VfB verbringt. Und ehrlich gesagt erwarte ich auch von keinem, dass er die Geschicke des VfB intensiv weiter verfolgt. Wenn er es doch tut, schön.

      Ich erwarte auch von keinem Fan, dass ihn die Verdienste eines ehemaligen VfB-Profis, so er sie in nennenswertem Maß hat und sich nichts Gravierendes (ein Vereinswechsel ist in meinen Augen nichts Gravierendes) hat zuschulden kommen lassen, davon abhalten, diesen auszupfeifen. Aber, das gebe ich zu, ich würde es gern erwarten können.

  8. @Bella:
    Wer wäre ich, Dir das verbieten zu wollen? Ob allerdings Herr van Gaal so glücklich wäre mit dem Vergleich, wage ich zu bezweifeln.

    @Trainer Baade:
    Vielen Dank, das spricht sehr für meine adretten Beiträge. Werde mir ein passendes Adverb für die Art und Weise überlegen, wie Deine Inhalte in Worte gekleidet werden.

    So richtig überraschen kann mich Deine Meinung zu Großkreutz übrigens nicht.

    @Stadtneurotiker:
    Irgendwie nett, ein staatstragender Redner, der aussieht wie the gimp.

  9. Ich mag ihn auch nicht, aber das tut hier jetzt grade nichts zur Sache. Ich möchte nur auch noch an seine Zweitligasaison in Ahlen erinnern. In der er zusammen mit Marco Reus den Verein quasi alleine in der zweiten Liga gehalten hat. Kaum sind die beiden weg gewesen gings bergab.
    Schon da war imho die Entwicklung der beiden abzusehen.

  10. Danke, war mir gar nicht bewusst, dass die beiden gemeinsam in Ahlen gespielt hatten – ja, hätte man drauf kommen können, wenn man mal drüber nachgedacht hätte.

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