danger

Als wir erstmals gemeinsam auf einem Fußballplatz standen, war ich elf Jahre alt, elfeinhalb, um genau zu sein. Er war ein wenig älter, gerade noch 13, vielleicht schon 14 – sein Geburtsdatum lag kurz nach dem Stichtag, im August vermutlich, vielleicht auch erst im September. Seine kräftige Statur fiel ins Auge, zudem war er recht groß, trug das Haar etwas länger, und der leichte Flaum, der bereits seine Oberlippe bedeckte, galt uns als Ausweis seiner Männlichkeit. Virilität kannten wir noch nicht. Dass seine Kumpels, und bald auch wir, ihn “danger” nannten, passte ins Bild, in sein eigenes vielleicht noch besser als in unseres. Dass dieser Heldenname nicht nur auf die von ihm ausgehende Gefahr hinwies, sondern auch mit seinem Familiennamen zu tun hatte, soll an dieser Stelle nicht weiter von Belang sein.

In der bevorstehenden Saison würden wir gemeinsam in der C-Jugend des Nachbardorfes – seines Heimatortes – spielen. Gewiss, der Altersunterschied war ein bisschen größer als vorgesehen, doch so war es eben bei uns auf dem Land: Es gab nicht genügend Kinder, um alle Jugendmannschaften abzudecken, schon gar nicht in jedem Ort; und so wurden meine drei Freunde und ich, wiewohl eigentlich noch D-jugendlich, in die dortige C-Jugend gesteckt. Dort zogen wir uns ganz achtbar aus der Affäre, und wäre ich jetzt bei meinen Eltern, so könnte ich die einzelnen Ergebnisse, Aufstellungen, Torschützen und natürlich die wöchentlich in der Lokalzeitung veröffentlichten Tabellen einer Kiste auf dem Dachboden entnehmen.

Dass danger bei den Aufzeichnungen zu den Torschützen ganz vorne rangierte, versteht sich von selbst. Wie gesagt, er war groß und kräftig, den meisten seiner Mit- und Gegenspieler körperlich deutlich überlegen. Zwar ging er nicht als Athlet im engeren Sinne durch; doch verstand er es in bemerkenswerter Art und Weise, sein Gesäß stets so zwischen Ball und Gegner zu bringen, dass er mit seinem linken Fuß relativ ungehindert zum Abschluss kam. Einem linken Fuß, in dem ein Huf sondergleichen steckte, wie ich vermutlich nicht explizit zu betonen brauche.

Die Spielzeit schlossen wir im vorderen Mittelfeld ab und belohnten uns kurz darauf mit der ersten Abschlussfahrt unseres, zumindest meines Fußballerlebens. Wir packten eine Handvoll Zelte auf unsere Räder in das Auto eines unserer Väter, radelten mit dem Trainer ein bisschen durch die Lande und verbrachten schließlich ein langes Wochenende in der Sommerfrische. Wie es sich für eine Fußballmannschaft gehört, hatten wir uns natürlich auch einen Gegner angelacht, mit dem wir uns vor Ort messen wollten.

Im Gegensatz zu uns lief die örtliche C-Jugend bereits mit der Mannschaft für die neue Saison auf, das heißt ohne ihre dangers und sonstigen alten Herren, was einerseits unsere Aussichten verbesserte, andererseits auch ein bisschen unangenehm war.

Und unangenehm wurde es in der Tat. Wir gewannen 9:0, die Tore erzielten danger, danger, danger, danger, danger, danger, danger, danger und schließlich danger. Ich selbst hatte zwei Torchancen, die erste bei 0:0, die zweite nach dem siebten oder achten Tor, und beide Male vergab ich kläglich. Ja, ich weiß das noch. Es war mir unglaublich peinlich. Ok, auch die zwei Chancen, vor allem aber die Gesamtsituation.

Dem Trainer ging es wohl ähnlich, was seinen Teil dazu beigetragen haben dürfte, dass er seine Verantwortung für die ihm anvertrauten Kinder an diesem Abend etwas ernster nahm und dort, wo er zuvor das eine oder andere Mal nicht ganz so genau hingesehen hatte, nunmehr Alkohol wie Nikotin streng auf den Index setzte. Danger und mich focht das nicht an – ich interessierte mich nicht dafür, er fand Mittel und Wege. Virilität, Coolnessfaktor, Sie wissen schon.

In den Folgejahren trennten sich unsere fußballerischen Wege wieder. Die Spielgemeinschaft wurde um einen weiteren Nachbarort erweitert, und so konnte jeder in der seinem Alter entsprechenden Jugendmannschaft spielen. Natürlich traf ich ihn dennoch regelmäßig, häufig auf irgendeinem Fußballplatz, kickend wie zusehend, gelegentlich im Schulbus, sommers öfter im Strandbad.

Irgendwann im nächsten oder übernächsten Sommer erzählte er beim Baden, dass er gerade mit einem Kumpel daheim im Garten zelte, ob ich nicht auch kommen wolle – war damals en vogue, hatte ich auch mit einigen meiner Freunde bereits gemacht. Meine Eltern fanden die Idee nicht ganz so prickelnd, zweieinhalb Jahre Altersunterschied sind in dieser Kohorte dann ja doch von Relevanz, ließen mich aber letztlich von dannen ziehen.

Bei der Ankunft wusste ich, was ich zu tun hatte: Zelt bewundern und beziehen, die dicke Luft im Zelt beklagen, kurz den Eltern guten Tag sagen. Äh. “Wieso willst Du denn meiner Mutter guten Tag sagen?” Vermutlich sagte ich etwas von Anstand und so gelernt und was weiß ich. “Na gut, da geht’s rein, dann links, in der Küche wird sie sein.” Ich also rein, guten Tag gesagt, ziemlich viele Fragezeichen in ihren Augen gesehen, wieder raus. Kurz danach wurde danger ins Haus gerufen, draußen hörte man ein paar lautere Gesprächsfetzen, wer das denn jetzt schon wieder sei und was das solle, und irgendwann kam mein Gastgeber so mittelviril wieder heraus.

Nee, nee, ich solle nicht gehen, meinte er, wie ich denn überhaupt auf die Idee komme, und dann kickten wir noch ein bisschen auf dem Bolzplatz um die Ecke, gingen zeitig zu Bett, uneins über die fragwürdige These, dass es ja wohl nicht so eine gute Idee gewesen sei, unbedingt guten Tag sagen zu wollen, und am nächsten Morgen machte ich mich doch eher zeitig auf dem Weg, um im wohlbehüteten Zuhause noch ein Frühstück abzubekommen.

In den nächsten Jahren trafen wir uns zunehmend seltener, unsere Interessen drifteten weiter auseinander, auch altersbedingt, aber es gab ja noch den Fußball. Andere fanden ihn irgendwann nicht mehr so spannend und beendeten ihre Karrieren in jungen Jahren, doch danger und ich blieben dabei, und als er im zweiten A-Jugend-Jahr, also unmittelbar vor dem Weg in den Erwachsenenfußball, weiterhin als Mittelstürmer auf dem Platz stand, war die Personaldecke meist recht dünn – also griff man auf B-Jugendliche zurück.

Und so hatte ich das Vergnügen, noch einmal eine Saison lang aus großer Nähe zuzusehen, wie er sein Gesäß zwischen Ball und Gegner und den Ball dann nicht selten ins Tor brachte. Die körperliche Überlegenheit war nicht mehr so ausgeprägt, die Fitness noch ein bisschen weniger, aber die Sache mit dem Torabschluss, die kann man ja nur bedingt lernen. Ich spielte auf der Zehn und kannte seine Vorlieben ganz gut, und so hatten wir eine letzte ziemlich schöne und torreiche Saison zusammen, die wir weit über unseren Möglichkeiten abschlossen.

Im Jahr darauf waren wir erstmals Gegner, als die aktiven Mannschaften unserer Dörfer in einem der seltenen Pflichtspiel-Derbys aufeinandertrafen – ich als jugendlicher Fan der einen, er auf der Bank der anderen. Die einen waren der erklärte Meisterschaftsfavorit, die anderen motiviert. Kurz vor Schluss wurde er beim Stand von 2:4 eingewechselt, jemand verkürzte, ich warnte, man müsse auf den danger aufpassen, aber er war ja grade erst aus der Jugend gekommen, was wollte er da mit seinem Gesäß anfangen gegen unsere gestandenen Verteidiger?

In der 89. gab es einen Freistoß aus halbrechter Position, ca. 20 Meter vor dem Tor, und natürlich kam, was kommen musste – der linke Huf, Sie wissen schon. Genau ins Kreuzeck. Ein Stürmer, der seine Freude ballackesk herausschrie, der dem scheinbar überlegenen Nachbarn einen Punkt entrissen und es seinem Trainer mal so richtig gezeigt hatte.

Leider dürfte das sein größter Moment als aktiver Spieler geblieben sein; später spielte er meist in der zweiten Mannschaft, unterste Liga, wechselte irgendwann noch den Verein, ebenfalls unterste Liga, dann verlor ich die Spur.

Ich selbst war in der Zwischenzeit weggezogen und nur noch seltener in der Gegend, und als ich ihn ein paar Jahre später bei einem Nacht-Fußballturnier auf der Tribüne sitzen sah, unterhielten wir uns kurz, ohne einander viel zu sagen zu haben. Ich frug ihn, wieso er nicht mitspiele, wiewohl offensichtlich war, dass sich sein körperlicher Gesamtzustand keineswegs verbessert hatte, er erzählte etwas von Verletzungen und keiner rechten Lust und wichtigeren Dingen. Er musste dann los, wir verabschiedeten uns, bis bald mal.

Das liegt 20 Jahre zurück, danach haben wir uns nie mehr getroffen. Ein- oder zweimal hörte ich von alten Bekannten noch etwas über ihn, er hatte sich die Hörner in mancherlei Hinsicht ein bisschen abgestoßen, später gründete er eine kleine Familie, Fußball spiele er wohl nicht mehr.

Neulich habe ich erfahren, dass er vor einigen Jahren einer heimtückischen Krankheit erlegen ist, und seither denke ich viel an damals, an danger, an seinen linken Huf und den Flaum auf der Oberlippe, an sein Lederarmband, an die anderen und wie es ihnen wohl so geht. Und ich hoffe, dass er vor seinem so verdammt frühen Tod einige schöne und zufriedene Jahre hatte.

Mein linker Fuß

Ein gutes Jahr ist es her, dass sich Trainer Baade als Two-Trick-Pony offenbarte. Und dabei so tat – man darf getrost von hemmungslosem Humblebragging sprechen –, als sei das etwas Schlechtes. Ich meine: zwei Tricks, zwei gut funktionierende noch dazu, wo wir doch alle wissen, dass selbst Arjen Robben nur einen kann und vielen als Inbegriff des One-Trick-Ponys gilt – das ist doch was, da braucht sich der geschätzte Herr Baade gewiss nicht zu verstecken, im Gegenteil!

Seine Selbstkasteiung erfolgte in Form eines jener Texte, bei denen man als Bloggende(r) hofft (zumindest ginge es mir so), die eine oder der andere Mitlesende möge sich bemüßigt fühlen, seiner- oder ihrerseits die eigenen Stärken, Schwächen, Unzulänglichkeiten, Vorlieben oder eben Tricks offenzulegen. Was möglicherweise auch geschehen wäre, zumindest in den Kommentaren, hätte nicht der erste Kommentator auf wenig subtile Art und Weise dazu beigetragen, die dortige Diskussion in einen schnöden Austausch von Rekordergebnissen abgleiten zu lassen.

Alternativ zum Austausch in den Kommentaren gelingt es mitunter auch, andere Bloggende dazu animieren, besagte eigenen Stärken, Schwächen, Unzulänglichkeiten, Vorlieben oder eben Tricks nicht nur in den Kommentaren, sondern gar in einem ausgewachsenen Blogtext offenzulegen. So sie denn etwas beizutragen haben.

Und so stelle ich mir, stets bestrebt, auch mal wieder was in mein Blog zu schreiben, seit jenem 7. Februar 2014 eben diese Frage: Kann ich etwas beitragen? Beherrsche ich wenigstens einen Trick? Nun, die verstrichene Zeit führt die geneigte Leserin auf die richtige Spur: es bestehen Zweifel.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch – gewiss kann ich einen Ball halbwegs geradeaus spielen, verstehe ein bisschen was von Verteidigungs- und Angriffsstrategien, treffe auch gelegentlich das Tor oder stelle mich nicht ganz ungeschickt in den einen oder anderen Ball-, vielleicht auch Laufweg der Gegenseite, aber ein Trick? Beziehungsweise ein spezieller, meine Spielweise mehr oder weniger definierender, wie soll ich sagen, Move?

Ich weiß nicht recht. Oder wusste nicht recht, fast 15 Monate lang. Mittlerweile habe ich eine Ahnung, die ich gerne mit Trainer Baade teilen will, seinen Blogbeitrag wie in den guten alten Tagen aufgreifend, etwas verspätet zwar, aber wir haben ja Zeit. Und natürlich teile ich sie auch gern mit jenen treuen oder zufälligen Leserinnen und Lesern, die ebenfalls bis hierher dabeigeblieben sind.

Die Bühne betritt: mein linker Fuß.

Klingt nicht so recht nach einem Trick, nicht wahr? Wenn man mal von dem Trick absieht, Menschen, die sich für Christy Brown und sein Werk interessieren, mit Hilfe einer fragwürdigen Überschrift hierher gelockt und implizit einen noch viel fragwürdigeren Vergleich insinuiert zu haben. Was, aber das kann hinterher jeder sagen, gar nicht in meiner Absicht lag. Die Überschrift, im Sinne eines Arbeitstitels, stand schneller da, als ich Christy Brown hätte sagen können, geschweige denn Daniel Day-Lewis. Und ich mochte sie, und sie blieb. So einfach.

Und so unspektakulär. Passend zu meinem linken Fuß. Er hat nichts Trickhaftes, weckt keine Erinnerungen an Uwe Bein oder, auch eine Art, na ja, Trick, Günter Delzepich, sondern ist schlichtweg ein gewöhnlicher linker Fuß. Der linke Fuß eines Rechtsfüßers, um genau zu sein. Dieser Rechtsfüßer ist durchaus in der Lage, wurde ja jahrelang im Training geübt, den Ball unter Laborbedingungen mit dem linken Fuß zu führen, auch pendelnd, wenn’s sein muss, und kann einfache Zuspiele in aller Regel mit links verarbeiten.

Aber er käme nie in die Versuchung, sich in einem “Tempo”-Dribbling auf besagten Linken zu verlassen, ihm die Führung anzuvertrauen, mal kurz mit der linken Sohle über den Ball zu wischen oder sich mit einer von Zidane abgeschauten links initiierten Roulette einer engen Situation zu entwinden. Nicht dass er all das mit rechts drauf hätte, schon gar nicht verlässlich reproduzierbar, aber da würde er es zumindest hin und wieder versuchen. Vielleicht.

Mit rechts ist er in aller Regel auch in der Lage, den Ball eine Weile hochzuhalten. Oder auch mit beiden Füßen, abwechselnd, wenn’s sein muss. Aber nur mit links? Keine fünf Kontakte. Oder, um der Wahrheit die Ehre zu geben: es scheiterte bereits am hochnehmen. Sie kennen das: Sohle auf den Ball, kurz zurückziehen, mit dem Spann anheben, jonglieren (so nennt man das bei uns). Konservativen Schätzungen zufolge habe ich das in den letzten knapp 40 Jahren etwa fünfzigtausend Mal getan. Davon progressiv geschätzte zehnmal mit links. Ohne erinnerungswürdigen Erfolg.

Oder nehmen wir die Ballannahme aus der Luft. So richtig aus der Luft, wenn Sie wissen, was ich meine: ein hoher Ball, der nahezu senkrecht herunterfällt und den man dann sehr elegant (wir denken an dieser Stelle kurz an Funny van Dannens Eurythmieschuhe) wie einen Flummi Stein auf dem Spann abfedert. Oder wie ein Mobiltelefon:

Mit rechts, wohlgemerkt. Mit links? Unvorstellbar. Ok, mit den Telefonen könnte es noch halbwegs klappen, da geht’s ja nur darum, den schlimmsten Schaden abzuwenden. Aber ein Fußball? Könnse vergessen, das sieht dann aus wie bei Jürgen Klinsmann.

Um es abzukürzen: mein linker Fuß ist fußballspezifisch kein feinmotorisches Werkzeug. Ich würde nicht so weit gehen, meinen ehemaligen Trainer kontextbefreit zitierend, mir ein Bügeleisen im Schuh zu attestieren, aber er ist definitiv kein Trickserfuß. Keine Hacke. Spitze schon eher. Kein eins-zwei-drei.

Woraus sich nahezu zwingend ergibt, dass ich den Ball in aller Regel am rechten Fuß habe. Mit rechts annehme, mit rechts, erhobenem Kopf und großer Geste raumgreifend durchs Mittelfeld trabe, mit rechts ins Dribbling gehe. Das Dribbling ist ja nicht so meins. Also nicht im Sinne von Übersteigern, verwirrenden choreographierten Tricks (ah, Tricks, da sind sie wieder!) und ständigen Fußwechseln. Eine Körpertäuschung, vielleicht ein kurzes Innehalten, eine kurze Ballberührung, ein Beschleunigungsversuch.

Ist ja nichts Schlechtes. Keep it simple. Allerdings, und hier wird es vielleicht ein bisschen too simple, liegt der Ball, Sie erinnern sich, stets an meinem rechten Fuß, oft an dessen Innenseite, und so ziehe ich, wenn alles gutgeht, nach links am Gegenspieler vorbei, verschaffe mir ein bisschen Vorsprung und Raum, eine Schusschance eröffnet sich, Raum für eine Flanke, der Korridor für ein kurzes Zuspiel oder einen langen Pass.

Der Gegenspieler erkennt das auch, vielleicht, hat kurz ein schlechtes Gewissen gegenüber seiner Mannschaft, weil er sich so billig ausmanövrieren ließ, um dann relativ rasch zu erkennen, dass das ja alles halb so schlimm ist: Feinmotorik. Bügeleisen. Sie ahnen es, haben es vielleicht bildlich vor Augen: mein linker Fuß. And I … am not left-footedEither.

Und dann: Bämm! Torschuss mit links. Flanke mit links. Stanglpass mit links. Das geht. Ziemlich gut sogar. Der letzte Kontakt ist ein linker. Oder anders: One-Touch-Football mit links – mein Ponytrick. Nimm dies, Trainer Baade!

Ernsthaft: ich vermute, dass meine Tor- und Vorlagenquote mit links der mit rechts über die Jahre hinweg nur unwesentlich nachsteht. Wenn überhaupt. Auf überschaubarem Niveau, gewiss, aber doch bemerkenswerterweise. In den letzten Wochen, als ich, um die oben erwähnte Ahnung meines “Tricks” zu verifizieren, mit Hilfe einer sehr geringen Stichprobe, etwas genauer darauf achtete, gelangen mir zumindest mehr Tore und Vorlagen mit links als mit rechts. Ohne dass ich mich darum bemüht hätte.

(Wir sprechen von Kleinfeldfußball, mit freakigen Ergebnissen, da trifft jeder ab und zu mal. Nur um das klarzustellen.)

Und jetzt geh ich dem Trainer Baade nochmal ganz großspurig Humblebragging unterstellen.

 

 

 

Gewöhnliche Gentlemen

Er hieß Jochen, kam aus dem Nachbardorf, und dieser Text befasst sich nicht mit meinem ersten Mal. Überhaupt war er mir zu alt.

De facto war er sogar uralt, schätzungsweise fast so alt wie ich heute, und er spielte an diesem Tag Fußball. Nein, ich will der Wahrheit die Ehre geben: er motzte Fußball. Mit Schiri, Mit- und Gegenspielern. Zudem meckerte er. Stänkerte. Jammerte. Schimpfte. Klar, war ja auch ein Nachbarschaftsderby. Eines der letzten seiner Art – bald darauf fusionierten die beiden Vereine und schrieben eine schöne Kreis- Bezirks- Landesliga-Erfolgsgeschichte, aber das nur am Rande.

Meine Mutter, eine regelmäßige Fußballgängerin, schüttelte den Kopf und murmelte irgendwas von »Freundschaftsspiel« und »Alte Herren«, was die Umstehenden ihrerseits mit Kopfschütteln und dem Hinweis quittierten, dass man das ja wohl wisse, dass die die schlimmsten seien.

Ich wollte das damals nicht recht glauben, will es eigentlich auch heute noch nicht, trotz offensichtlicher und offensichtlich zunehmender eigener Schwächen in Sachen Schnelligkeit, Behändigkeit, Ausdauer, Schussgenauigkeit, … und was einem sonst noch so auffällt. Und trotz des daraus erwachsenden Frustpotenzials.

Natürlich bin ich ehrgeizig. Selbstverständlich will ich heute, längst älter als Jochen damals, jeden Mittwoch gewinnen. Immerhin: ich motze selten mit Mit- und Gegenspielern, eigentlich so gut wie nie, es sei denn vor mich hin murmelnd, und Schiri haben wir keinen. Aber ich ärgere mich über halbherziges Gekicke, über Fehlentscheidungen meiner Mitspieler, meine eigenen sowieso, und ich werde zur Furie, wenn taktische Fouls oder Handspiele begangen werden. Ok, in dem Fall motze ich doch.

Wie gesagt: gewinnen ist wichtig. Und manchmal frage ich mich, ob es zu wichtig ist. Frugen sie sich beim DFB ja auch, glaube ich, während und nach der Ära Sammer, aber zur Klärung dieser Frage brauchen die mich nicht. Beim Württembergischen Fußballverband, und nicht nur hier, wird die Frage übrigens auch gestellt, ebenso bei den Trainern von Bambini- und F-Jugend-Mannschaften, und die Antworten sind vielfältig. Schwierige Frage, der ich mich sogleich entziehe.

Meine Frau lächelt milde, wenn ich ihre Frage, wie’s beim Fußball gewesen sei, mit “gut” oder “schlecht” beantworte und sie damit weiß, ob wir gewonnen oder verloren haben. Mittlerweile versuche ich, mich etwas differenzierter auszudrücken, aber es gelingt selten, die Kernaussage zu verschleiern.

Sie selbst geht regelmäßig zum Volleyball, mit einer gemischten Gruppe, Jungs und Mädels, wie wir ewig Jungbleibenden gerne sagen, aber de facto sind’s Frauen und Männer, und kehrt beinahe ebenso regelmäßig kopfschüttelnd zurück. Weil zum Beispiel der eine oder der andere Mitspieler keine Bedenken hat, zwölf Angaben am Stück und mit zunehmendem Vergnügen auf jene eine an diesem Abend etwas indisponierte Spielerin der Gegenseite zu spielen. Was für eine Serie! Vermutlich ist es doch ein Geschlechterding.

Bei meinem Mittwochskick sind wir nur Männer. Alle wollen gewinnen, mit Nuancierungen in der Intensität. Schlage ich dabei über die Stränge? Bestimmt. Indem ich, zurückliegend, einen Zweikampf so führe, als spielte ich noch irgendwo im aktiven Ligabetrieb, regelkonform, aber abseits des Wettkampfsports (um nicht Trainer Baades Lieblingsvokabel vom Freizeitfußball zu gebrauchen) diskutabel, oder indem ich aus zehn Metern den Vollspann auspacke und damit unterbewusst ein Signal aussenden will, von seltenen Grätschen, auch sie: regelkonform, wenn man es könnte, gar nicht zu reden. Schlagen meine Mitspieler über die Stränge? Auch das, gewiss.

Gleichwohl gehe ich auch weiterhin von der Annahme aus, dass “ein Gentleman niemals absichtlich ein Foul” begehen würde (daher der obige Hinweis auf meine Verwandlung in eine Furie im Fall taktischer Vergehen), und dass wir alle Gentlemen sind. Selbstverständlich zeigen Gentlemen auch an, wenn sie versehentlich ein Foul begangen haben. Aber: es ist kompliziert.

Wie ist das mit den harten Zweikämpfen, die Howard Webb nicht abpfeifen würde, ein junger Zweitligaschiedsrichter aber schon und der in der Kreisliga erst recht? Was ist mit den Grätschen, mit denen man den Ball nach einem ärgerlichen Verlust zurückerobert, auch weil der Gegenspieler vorsichtshalber zurückzieht? Hat der Futsal da nicht die besseren Regeln?

Und überhaupt, die Regeln: es ist schwer genug bis unmöglich, unter Menschen, die sich hauptberuflich im Fußball tummeln – Spieler, Trainer, Schiedsrichter, Powerzuseher – ein einheitliches Regelverständnis herzustellen. Wie soll es dann unter Leuten mit deutlich unterschiedlichem Fußballhintergrund funktionieren? Der eine hat dreißig Jahre lang im Verein gespielt, davon zehn in Ligen, wo der Fußball bereits nach Fußball aussieht, der andere machte nach der C-Jugend erst einmal zwanzig Jahre Pause, und wieder ein anderer greift in Regelfragen auf seinen langjährigen Erfahrungsschatz als Hand- oder Basketballer zurück.

Da kann man schon mal ins Grübeln kommen, ob man die Vorgabe, wonach ausschließlich der Foulende Fouls anzeigt, nicht doch aufweichen sollte. Gerade in diesem Zusammenhang ist die Frage, ob eine positive Korrelation von Alter und dem Streben nach Siegen auf dem Fußballplatz empirisch belegt ist, von besonderer Relevanz. Wird unser Gentleman-Gen verschütt gehen, wenn Alter und Ehrgeiz weiter steigen, oder können wir das entkoppeln? Das Gen vom Ehrgeiz, den Ehrgeiz vom Alter, das Alter vom Gen, und so weiter?

Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass ich nicht davon abrücken möchte. Ich will, dass wir die Hand heben und “Foul!” rufen, wenn wir eines begangen haben. Ich will, dass wir nicht die Hand heben und “Foul!” rufen, wenn wir glauben, gefoult worden zu sein. Aber, zugegeben, mit einem kurzen “Ey!” kann ich umgehen. Wir müssen ja auch im richtigen Leben gelegentlich daran erinnert werden, dass wir Gentlemen sind. Und wenn wir uns dann nicht angesprochen fühlen oder der Meinung sind, die Ansprache sei grundlos erfolgt, dann ist das auch gut so.

Vielleicht riefen wir die Geister auch selbst. Damals, als wir anfingen, Spielberichte zu schreiben. Woche für Woche, und es ist ein Riesenspaß, sie nachzulesen. Oder als wir begannen, die Aufstellungen auszuwerten. Ob die mit den Leibchen häufiger gewannen oder die ohne, wie groß der Überzahlvorteil ist, wer die meisten Einsätze im Kalenderjahr zu verzeichnen hat und mit welchen Mitspielern jeder einzelne von uns die meisten Siege erringt. Irgendwo zwischen der ran Datenbank und Moneyball, und unser aller Ehrgeiz mittendrin. Wie gesagt: es ist kompliziert.

 

Offenlegung: Ich habe keinen regelmäßigen Termin, der so unverrückbar ist wie der Mittwochskick. Gelegentlich hadere ich mit der Spielerzahl, mit der Pünktlichkeit, auch meiner, mit der Absagedisziplin, mit taktischen Fouls, sportlichen Fehlleistungen – nicht nur, aber vor allem meinen eigenen –, mit Aufstellungen, Stockfehlern, vergebenen Torchancen oder taktischen Lapsus, mit mangelndem Ernst, zu großem Ernst, fehlenden Leibchen, einem schlecht aufgepumpten Ball oder eben Defiziten bei der Gentlemanship.
Aber ich würde ihn nicht hergeben wollen. Auf keinen Fall.

 

Manchmal spielen wir auch gegen andere. Das letzte Aufeinandertreffen mit den Alten Herren von daheim, Sie wissen schon, aus dem Retortenclub mit dem Nachbardorf, war eine deutliche Angelegenheit für uns. Was beide Mannschaften nicht davon abhielt, in der einen oder anderen Situation ihren Unmut zu bekunden. Mit den Mitspielern, den Gegenspielern, dem Schiri. Der hieß Jochen, ist immer noch viel, viel älter als wir und sagte, dass es doch nur ein Freundschaftsspiel sei.

 

 

Zweikampf

Hin und wieder spiele ich mit jungen Männern Fußball, beziehungsweise, korrekter, gegen sie. Sie sind zumeist flink, ungestüm und wollen den Ball haben. Ich selbst, und meinen Mitspielern geht es in der Regel ähnlich, bin nicht sonderlich flink, dafür mit einer gewissen Ruhe ausgestattet, und will den Ball nicht hergeben.

Möglicherweise habe ich das Spiel im Lauf der Jahre etwas besser verstanden als jene jungen Leute, die noch viel Zeit haben, verfüge zudem über eine ganz akzeptable Ballsicherheit und darf mir auf bescheidenem Niveau ein gewisses Maß dessen zuschreiben, was man heutzutage Pressingresistenz nennt.

Es dürfte auf der Hand liegen, dass meine Vorzüge in erster Linie dann zum Tragen kommen, wenn ich den Ball am Fuß habe und freie Mitspieler finde, mit denen ich ihn zirkulieren lassen kann. Kritisch wird es insbesondere in Situationen, in denen das Zuspiel ungenau ist, ich also zum Ball laufen muss, oder wenn ich ihn schlecht verarbeite. Dann droht sich der Geschwindigkeitsnachteil bemerkbar zu machen.

Im konkreten Beispiel sieht das so aus, dass der hinter mir mit den Füßen scharrende Gegenspieler darauf spekuliert, dem Ball gewissermaßen den Weg abzuschneiden, so er denn zu mir gespielt werden soll. Wenn nun das Zuspiel tatsächlich kommt und möglicherweise etwas lommelig ist, wie man bei uns auf dem Platz zu sagen pflegt, es also auf halbem Wege zu verhungern droht, oder wenn ich ihn in Flippermanier prallen lasse, wird es kritisch.

Der junge Mann hinter mir erkennt seine Chance und versucht, an mir vorbei zum Ball zu gehen. Ich erkenne es und stelle, Verzeihung: laufe meinen Körper in seinen Laufweg, auf dass er mich nicht überholen möge. Er wird noch weiter ausweichen oder sein Glück auf der anderen Seite versuchen, ich reagiere entsprechend. Geht alles gut, bin ich mittlerweile am Ball und kann ihn spielen oder zumindest halbwegs kontrollieren, Pressingresistenz im weiteren Sinne, Sie wissen schon.

Vielleicht geht das Spielchen aber auch weiter. Mittlerweile haben wir sehr unmittelbaren Körperkontakt, er drängt mit jugendlicher Dynamik an mir vorbei, ich werfe gewisse körperliche Vorteile, die ansonsten eher in Kraftsportarten von Nutzen sind, und entsprechende Standfestigkeit in die Waagschale, was kurzzeitig hilft. Leider ist sein Tempo wesentlich höher als meines, er droht vorbeizukommen, den Ball habe ich nur mehr halb unter Kontrolle.

Also breite ich die Arme aus, unter Umständen auch nur einen. Vergrößerung der Körperfläche. Mit etwas Pech schreitet der Schiedsrichter ein, doch im Normalfall lässt er mich an dieser Stelle noch gewähren. Der Weg für den Eroberer verlängert sich weiter, im Idealfall gewinne ich durch eine geschickte Drehung so viel Raum und Zeit, dass ich in Ruhe abspielen kann. Im weniger idealen Fall drängt er sich an meinem Arm vorbei und ist auf dem besten Wege, mir mit dem Ball davonzulaufen. Schnell.

Nun gilt es, taktisch zu handeln. Da schlägt die Erfahrung zu Buche. Ich hänge mich mit dem ganzen Körper inklusive ausgestrecktem Arm in die entstehende Kurve, die Adaption eines Seitenwagen-Beifahrers verkörpernd, und dränge ihn so von seinem Weg ab. Läuft es gut, entfernen wir uns nicht allzu weit vom Ball und ich gelte noch als diesen führend. Läuft es nicht so gut, pfeift der Schiri ab, oder der Gegner kommt allen Bemühungen zum Trotz an mir vorbei.

An dieser Stelle endet die Erzählung. Ich lasse ihn laufen und kann ihm hernach nicht folgen. So ist das im Sport.

Natürlich könnte man sich auch ein anderes Ende vorstellen. Eines, das man zur Genüge kennt. Das man am Wochenende von Sebastian Rudy vorgeführt bekam, weitgehend, aber das nur am Rande. 

Nun denn, weiter:

Also muss ich ihn festhalten. Mit einer Hand erwische ich sein Trikot, allein: seine Dynamik lässt sich so nicht hinreichend bremsen. Ich brauche einen besseren Griff, erwische vielleicht seinen Arm, doch er ist kaum mehr zu halten. Die zweite Hand kommt zu Hilfe, ach was, der ganze zweite Arm, mit etwas Glück erwische ich die Schultern, umfasse die Hüften, irgendwas.

Wir kommen zu Fall. In einer gerechten Welt bekomme ich beim Sturz seinen Schuh ins Gesicht und anschließend gelb.

“Ich bin schlichtweg zu langsam”, murmle ich etwas geknickt vor mich hin und trotte davon. “In manchen Situationen reichen Ball- und Passsicherheit einfach nicht aus”, konstatiere ich kurz darauf, bereits etwas nüchterner.

Dann denke ich ein bisschen sorgenvoll an Oriol Romeu.

Culinos Verben

Nein, die Ähnlichkeit ist nicht zufällig entstanden. Wenn ich ehrlich bin, ist sie sogar ziemlich gewollt. Eine inhaltliche Rechtfertigung ist kaum zu konstruieren, von einer natürlichen, weil naheliegenden Entwicklung gar nicht zu reden.

Culino, soso. Ok, es hat ein paar Buchstaben mit Collina gemein, meinetwegen auch noch die Silbenzahl, und es ist nicht gänzlich auszuschließen, dass Menschen in meinem Umfeld, mich selbst eingeschlossen, zu Zeiten, als wir uns ein bisschen mit der italienischen Sprache und deren Diminutiven befassten, dem Gedanken an einen Herrn namens Pierluigi Culino einen gewissen Witz nicht absprachen. Alkoholika lassen sich als Entschuldigung nicht ins Feld führen.

Kleiner Service für diejenigen, die in der italienischen Sprache nicht ganz so zuhause sind: Ärschchen. So könnte man culino wörtlich übersetzen. Dass es nach meiner Kenntnis, der ich in der italienischen Sprache ebenfalls nicht ganz so zuhause bin, gar nicht so verbreitet ist, dieses Ärschchen, interessierte uns nicht allzu sehr, und wenn ich ehrlich bin, ist es mir auch heute noch recht egal.

Ich mag das Wort. Eigentlich wär’s doch auch im Deutschen ganz gut, nicht so harsch, vielleicht als wohlwollende oder halbherzige Beleidigung einzusetzen, aber irgendwie ist die Aussprache nicht ganz ohne: Ärschchen. Ärschchen. Bitte zehnmal am Stück sagen, so schnell wie möglich. Ärschchen! Zunge gebrochen.

Möglicherweise habe ich mich in eine Sackgasse manövriert. Irgendwie sollte ich wieder zum Ausgangspunkt kommen. Der da lautete: Ähnlichkeit. Zu Collinas Erben. Sie wissen schon: der Schiedsrichterpodcast, den man gar nicht genug loben kann. Dort gibt es, wer will es den beiden Protagonisten Alex Feuerherdt und Klaas RefeReese verdenken, das eine oder andere wiederkehrende Thema. Oder, um es korrekter zu sagen: wer will es den Protagonisten nicht danken?

Zu diesen wiederkehrenden Themen zählen natürlich Elfmeter und Platzverweise, oder, in dieser Saison ganz besonders nachgefragt, Abseits und Handspiel. Liegt wohl in der Natur eines Schiedsrichterpodcasts. Zu diesen Themen zählen aber auch die Taktik des Schiedsrichters, die Fußballphilosophie oder die Psychologie des Spiels, und zu diesen Themen zählen weiterhin Zeitlupenwissen und: Kommunikation.

Die Kommunikation des Schiedsrichters. Wie er mit den Spielern umgeht, wie er mehr oder weniger virtuos auf jener Klaviatur spielt, die Gott, irgendwelche Bildungseinrichtungen oder auch die Straße ihm gegeben hat, von einfühlsamem Gebabbel über Warnungen, Drohung und schrille Pfiffe bis hin zu farbigen Kartons.

Kein Vertun: auch letztere sind Kommunikationsmittel. Zum Glück legen die Ärschchen (Verzeihung, das war der Übermut. Bitte unter “wohlwollend” abheften.) Erben ihren Fokus bei der Kommunikation eher auf den verbalen Umgang zwischen dem Richter und den zu Richtenden, lässt uns Alex an seinem breitgefächerten Erfahrungsschatz teilhaben, auch daran, dass er die Spieler mitunter ganz bewusst ins offene Messer, sprich: den falschen Einwurf, laufen ließ, um sowohl ihnen als auch uns Hörern ein paar Grundregeln von “Psychologie im Alltag” näher zu bringen.

Das mag, wie ich gerade feststelle, ein wenig spöttisch klingen, ist aber gar nicht so gemeint, im Gegenteil. Gleichzeitig stellt sich mir aber die Frage, inwieweit seine Bemühungen in der Schiedsrichterausbildung diesbezüglich fruchten, vielleicht auch fruchten können. Womit wir wieder bei der Virtuosität wären, mit der er seine Kommunikationsmöglichkeiten, und in allererster Linie die Sprache, zu nutzen weiß.

Einer Virtuosität, die nicht jedem Schiedsrichter zur Verfügung steht, auch wenn, wie schon vor Jahren erörtert (insbesondere in den Kommentaren, wo sich nicht zuletzt einer der Erben in seiner damaligen Identität erhellend einbrachte), die Akademikerquote unter den hochklassig pfeifenden Schiedsrichter mittlerweile beträchtlich und die rhetorischen Fähigkeiten zentral sind.

Damals, in den Niederungen des Provinzfußballs, war dem nicht so. Die Kommunikation war eher direkt, und ähnlich wie wir Spieler in jenen Klassen in aller Regel nur ein Spieltempo drauf hatten, hielt sich auch die kommunikative Virtuosität der Herren in schwarz (sic!) in Grenzen. Ich selbst war im Grunde stets ein fairer Spieler, flog nie vom Platz, sah selten gelb – meine erste Verwarnung dürfte ich in der A-Jugend erhalten haben, und ich war den Tränen nah, zumal sie mich auch noch fünf Mark in die Mannschaftskasse kosten sollte.

Kurz: ich wollte keine Verwarnungen bekommen. Und entwickelte Vermeidungsstrategien. Die zumindest in jenen Klassen ganz gut funktionierten. Punkt eins war der Kapitänsbonus, für den ich nichts konnte, der aber half, wenn man seinen inhaltlichen Dissens mit dem Schiedsrichter nicht mit sich selbst ausmachen konnte. Punkt zwei, und an dieser Stelle war möglicherweise ich derjenige, der eine gewisse Virtuosität entwickelte, bestand darin, den Schiedsrichter nur indirekt zu kritisieren.

Vermutlich lächeln die Erben, denen nichts Weltliches fremd ist, bereits wissend, so sie denn mitlesen, und erinnern sich der Platzverweise, die sie oder die zumindest einer der beiden, der Erstgeborene, wenn man so will, gegen vermeintlich neunmalkluge Indirektbeleidiger ausgesprochen haben. Bei uns in den Niederungen kam man, kam ich indes immer ganz gut damit durch. Ok, einmal stieß ich auf einen erfahrenen Unparteiischen, der mir recht früh den Zahn zog, sinngemäß: “Sie halten sich wohl für besonders gescheit? Mit mir nicht, Herr Kamke, ich bin’s nämlich auch!” Ja, er wusste meinen Namen. Und wer weiß, vielleicht kannte er auch meine Angst vor gelben Karten. Ich blieb lammfromm.

Was das sei, dieses indirekte Beleidigen? Nun, in aller Regel bedarf es eines Mitspielers, der den Schiedsrichters kritisiert. Gerne auch vehement kritisiert. Dann geht man hin, wirkt auf ihn ein und sagt Dinge wie: “Matze, lass es doch, der Mann stößt halt an sein Grenzen” oder “Ach komm, Gerd, er tut das doch auch nicht mit Absicht”, vielleicht auch “Lass gut sein, Hänschen, er bemüht sich doch.”

In aller Regel dauerte es dann einen Moment, in dem der Herr in schwarz das Gehörte sacken ließ, dann dauerte es noch einen Moment, in dem er nachzudenken schien, wie er damit jetzt umgehen solle, und schließlich lief das Spiel weiter. Und der Spieler hatte einen lächerlichen kleinen Sieg errungen, der im Übrigen in keinem einzigen Fall dem häufig zitierten Pyrrhus zur Ehre gereicht hätte. Will sagen: ich kam stets davon. Ohne Karte.

Wobei “stets” eine fürchterliche Übertreibung ist. So häufig war das nicht der Fall, ich war fast immer ein sehr umgänglicher Spieler. Im Grunde ist mir nur eine Aktion im Nachhinein so richtig unangenehm: als ich dem – wirklich schlechten, aber das nur nebenbei – Schiri beim Handschlag nach dem Spiel ein “Machen Sie sich nichts draus” zuraunte. Nach dem Spiel. Was für ein Arsch! Also ich. In dem Fall. Ansonsten maximal: Ärschchen. Das in Einzelfällen Formulierungen wie “er bemüht sich ja” verwendete, stimmt. Bemühen. Eines von Culinos Verben.

“Duzen” ist ja auch eines. Die Frage, seit wann wir uns duzen, habe ich manchem Spielleiter gestellt. Selten eine Antwort erhalten. Einmal ein entwaffnendes “Seit Du mich so anschreist”, ergänzt um “Ja, ich habe Deinen Vorteil abgepfiffen, sorry, aber brüll mich nicht an!” Ich hatte SCHIIRIIIIII gerufen, und er hatte recht. Immerhin: wir duzten uns fürderhin konsequent. Ist ja auch was.

Kürzlich war das Duzen auch Thema bei den Erben. Am Rande. Viel wichtiger aber war die Mauerfrage. Mir zumindest. Die nach dem Schutz. Was mich zu einem, nun ja, Leserbrief animierte, den die Erben nicht nur in den nachfolgenden Podcast aufnahmen, sondern noch dazu professionell einsprechen ließen. Was dem Sprecher, wenn man den Outtakes Glauben schenken darf, nicht durchgängig Freude bereitete. Aber mir, hinterher. Collinas Erben: Schutzschwalbenskala.

Was mich dabei gleichermaßen irritiert wie bestätigt, ganz am Rande: erneut bedurfte es eines Außenstehenden, um das, was ich in Worte gefasst hatte, ohrentauglich zu machen. Vor allem aber freut es mich, dass Menschen sowas tun. Danke schön.

Und wenn die geneigte Leserin, so sie meinen Links folgt, schon mal drüben bei Collinas Erben und damit bei Fokus Fussball ist, dann könnte sie sich auch noch die Links zum Fußballblog des Monats ansehen. Die Wahl läuft nur noch bis zum 13.11., mein hauchdünner Favorit stammt aus dem Lila Kanal. Ohne jemanden beeinflussen zu wollen. Oder höchstens subtil. Mit Culinos Verben.