Vor einigen Wochen berichtete ich von einem unschönen Zwischenfall bei einem Freizeit-Fußballturnier, in dessen Rahmen aggressive junge Männer gegen betrunkene nicht mehr ganz so junge Männer spielten und sich schwer taten, deren Überlegenheit sportlich zu nehmen. Das damalige Interesse der Polizei an der Angelegenheit und ganz konkret an meiner Zeugenaussage hatte Bestand (was wohl auch daran liegt, dass außerhalb meines Sichtfelds noch etwas mehr vorgefallen sei), sodass ich meine Sicht der Dinge einige Wochen später in einem nicht mehr ganz taufrischen Polizeigebäude nochmals formal zu Protokoll geben durfte. Mittlerweile ist die nächste Stufe erreicht: ich soll vor Gericht aussagen.
Meine Frau macht sich Sorgen. Sie fürchtet, und wer will es ihr verdenken, dass die der Körperverletzung beschuldigten jungen Männer Gefallen an diesem Vergehen gefunden haben könnten und irgendwann diejenigen attackieren, die gegen sie ausgesagt haben. Ich selbst glaube zwar nicht daran und ließ mir auch von einem befreundeten Anwalt versichern, dass Vergeltungsaktionen gegen Zeugen äußerst selten vorkämen, zumal bei vergleichsweise “harmlosen” Vergehen (wie dem vorliegenden); eine gewisse Unruhe kann ich gleichwohl nicht leugnen, die vermutlich in den Wochen bis zur Verhandlung nicht unbedingt abnehmen wird.
Natürlich ist Kneifen keine Lösung (ungeachtet der Frage, ob das überhaupt möglich wäre), natürlich finde ich es wichtig, dass die Sache verfolgt und sanktioniert wird, natürlich werde ich nach bestem Wissen aussagen. Dass es mir dennoch sympathischer wäre, im Verborgenen zu bleiben, mich den Angeklagten nicht zu präsentieren und jedes noch so kleine damit verbundene Risiko auszuschließen, gebe ich unumwunden zu. Mein Respekt vor Menschen, die bei ungleich schwereren Vergehen als Zeugen auftreten, hat schon jetzt noch einmal deutlich zugenommen.
Ist verkleiden vor Gericht eine Option? Im Ernst: das ist nicht leicht, aber aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Ohne solche Zeugen sehen manche Opfer alt aus. Und das ist dann auch ein Teil der viel diskutierten Zivilcourage. Danke dafür.
Mich erschreckt, dass sich diejenigen, die solchen Vorfälle bezeugen nicht mehr ganz sicher sein können, ob es ihnen nicht selbst schadet.
Ich finde es daher sowohl mutig, wie auch besonders wichtig auszusagen.
Als mehrmaliges (im Erwachsenenalter) Opfer von Gewalttaten mit anschließender im Sande verlaufender Verfolgung kann ich Dich nur inständig bitten, hier zur relativ kleinen Tat zu schreiten. Ohne Zeugen ist das Opfer (wenigstens: juristisch) verloren.
Und wenn es dann noch nur um ein Schwuppi-Fußball-Event geht, dann erst recht.
Mich beschäftigt weniger die Frage, ob ich aussagen soll. Die ist längst eindeutig beantwortet, bzw. hat sich eigentlich gar nicht gestellt.
Noch viel weniger geht es darum, meine -relativ kleine, wie der Trainer zurecht sagt- bevorstehende Tat zu überhöhen, wir sprechen hier von einer Selbstverständlichkeit.
Mich beschäftigt viel mehr die Feststellung, dass man überhaupt meint, sich Sorgen machen zu müssen (also genau das, was Ute “erschreckt”). Das irritiert mich; die Konsequenzen kann sich jeder ausmalen.
@Trainer:
Ob sich das Ganze am Rande eines Schwuppi-Fußball-Events, auf einem Volksfest oder in freier Wildbahn abgespielt hat, spielt für meine Bewertung eigentlich keine Rolle. Gewaltbereit ist gewaltbereit.
Rolle wechseln. Einfach mal die (hier theoretische) Frage stellen, ob man als der eigentlich Betroffene, als derjenige, der die Schläge kassiert hat, dankbar dafür wäre, dass andere bezeugten, wer geschlagen hat. Und damit erst möglich macht, dass eine Tat gerechterweise bestraft wird.
Sich auch fragen, was überwiegt: die Angst vor einer Racheaktion durch die ursprünglichen Gewalttäter (die dann ggf. hoffentlich wieder sanktioniert wird) oder die Chance, dass man vielleicht verhindert, dass der oder die Täter so etwas noch mal machen — und ggf. wieder unbestraft davonkommen. Und deine Frau vielleicht fragen, ob sie als direkt von einer solchen Gewalttat Betroffene auch so viel Verständnis dafür hätte, wenn die Zeugen ihrer Misshandlung reihenweise die Aussage verweigerten. Die Täter gehören ja nicht zu einer Gruppe organisierter Krimineller, oder? Aber selbst dann könnte man an sowas wie staatsbürgerliche Pflichten appellieren, so altbacken das klingen mag.
Bedenken kann man natürlich haben, Ängste sind real und nicht wegzudiskutieren, aber als Zeuge einer solchen Tat darf und soll man ruhig das berichten, was man gesehen hat. Solange man in einem Rechtsstaat lebt. Das hält den nämlich zusammen, so trägt man dazu bei, dass das Zusammenleben in dieser Gesellschaft nicht auf das Recht des Stärkeren hinausläuft, auf das Recht desjenigen, der zuschlägt.
Immer aussagen! Habe ich immer so gehalten. Auch weil ohne Aussagen die gegnerischen Anwälte viel zu leichtes Spiel haben.
Angst? Hatte ich bisher nie. In einer Großstadt verläuft es sich immer. Und es ist tatsächlich so, dass die Täter sich überlegen, ob sie das machen. Denn es bringt ihnen nichts. Du bist ja nicht die Ursache sondern ihr eigenes Verhalten.
@ probek:
Da kommt mir meine Frau zu schlecht weg 😉
Sie macht sich Sorgen, das ist legitim, aber sie stellt nicht in Frage, dass ich aussage.
Ansonsten: Zustimmung.
@ Sebastian:
Das Großstadt-Argument zieht an der Stelle nicht. Und die Erkenntnis, dass die Ursache ihr eigenes Verhalten ist, setzt zumindest eine recht rationale Herangehensweise der Täter voraus.
Wollte damit auch sagen: nichts gegen deine Frau und deren berechtigte Sorgen, die du ja auch teilst (also die Sorgen, hehe), aber es ist halt eine Abwägung zwischen verschiedenen Standpunkten zu einer Sache, die nicht nur eindeutig positiv und ohne Nebenwirkungen ist. Nicht aussagen wäre in dem Fall aber das größere Übel — und das genannte Beispiel sollte nur zur Verdeutlichung der Situation dienen.
(Abgesehen davon, dass ich mich gerade frage, ob man als Geladener überhaupt die Chance hätte, Zeugnis zu verweigern — oder ob man es dann mittelbar tun müsste, Motto “ich habe nichts gesehen”)
Ansonsten bin ich erstaunt, wie oft ein (Berliner) Großstädter offenbar schon zu solchen Handlungen gezwungen war (“habe ich immer so gehalten”), ich musste und durfte noch nie vor Gericht (zeugen-)aussagen. Ich fahr wohl doch zu wenig mit U- und S-Bahn.
Meines Wissens dürfte man nicht. Einfach so Zeugnis verweigern, meine ich. Diese Information kann aber unvollständig sein, da ich mich nicht intensiv mit der Frage befasst habe.
Ja, Sebastians Formulierung hat mir auch zu denken gegeben…