Leo international?

Schon eine statistische Auffälligkeit, oder? Dass so viele Fußballspieler in Deutschland Leo heißen, meine ich. Bis hinab in die untersten Ligen.

Wer nicht weiß, wovon ich gerade rede, hat vermutlich keine allzu lange Vergangenheit im Vereinsfußball hinter sich. Mag sein, dass “Leo” auf Bolzplätzen, wo man ja auch gerne mal ohne festen Torwart spielt bzw. nur die im Tor stehen, die aus arthrotischen oder ähnlichen Gründen erst spät dorthin fanden, nicht überdurchschnittlich verbreitet ist. Auf den “richtigen” Plätzen sieht das anders aus. Dort ist “Leo” eines der im Spielverlauf mit am häufigsten verwendeten Wörter. Insbesondere Torhüter sind es, die mit einem lauten “Leo” deutlich zu machen versuchen, dass sie den Ball (häufig: die Flanke) gleich fangen werden. Dass sich der eigene Abwehrspieler unterstehen möge, den Ball selbst aus der Gefahrenzone zu befördern – andernfalls laufe er Gefahr, dass ihm der Torhüter ohne allzuviel Rücksicht und mit angezogenen Knien ins Kreuz springe. Die Botschaft kommt in der Regel auch bei den gegnerischen Stürmern ganz gut an.

(Ob Sven Ulreich am vergangenen Sonntag vor dem 0:3 eine solche Botschaft ausgesandt hat, weiß ich nicht. Einige meiner ehemaligen Trainer würden hierbei jedoch die These vertreten, dass ein Leo, der nicht auf der Tribüne zu hören war, kein Leo gewesen sein kann.)

Weshalb Leo? Nun, so ganz genau weiß das niemand –  zumindest niemand, den ich kenne. Wieso ruft man (ja, nicht nur Torhüter tun es, sondern gerne auch mal der eine oder andere Feldspieler) “Leo”, um zu signalisieren, dass der Mitspieler wegbleiben oder den Ball durchlassen möge, weil man selbst situationsbedingt mehr damit anfangen könne? Warum gerade “Leo”, meine ich. Weshalb man nicht “Durchlassen!”, “Hab ich!” oder Ähnliches ruft, ist relativ klar: das Regelwerk sieht derlei als unsportlich an. Irgendjemand kam dann wohl auf den Gedanken, statt dessen einen Namen zu rufen. Aber warum gerade Leo? Ob der Initiator bei seinem Ruf tatsächlich einen Mitspieler namens “Leo” ansprach und eine Kurzform für “Leo, wenn Du jetzt nicht aus dem Weg gehst, bist Du gleich platt!” formulierte,  oder ob er selbst Leo hieß und nach dem Motto “Weg da, jetzt komm’ ich!” agierte? Ich weiß es nicht. Vielleicht hat auch einfach ein schlauer Trainer seinem Torwart gesagt, er solle den Namen Leo verwenden, der so wunderbar kurz und eingängig sei und gleichzeitig keine Strafe nach sich ziehen könne. Mir zumindest wurde in jungen Jahren gesagt, der Torwart rufe “Leo”, weil man sich dem Schiedsrichter gegenüber immer darauf berufen könne, dass ein Mitspieler so heiße oder zumindest so genannt werde. Womit wir wieder beim Ausgangspunkt wären: verdammt viele Leos auf deutschen Fußballplätzen.*

Auf deutschen, wohlgemerkt. Im Anschluss an den gestrigen Mittwochskick kam indes die Frage auf, wie man das Problem im Ausland löse. Auch dort dürfte es der Schiedsrichter schließlich nicht allzu gerne hören, wenn man Freund und Feind mit dem jeweiligen Pendant zu “Aus dem Weg!”, “Mein Ball” oder “Lass ihn!” aus dem Konzept bringt. Nun habe ich zwar das eine oder andere Mal im Ausland gekickt, aber so richtig viele Schlüsse kann ich aus der Erinnerung daran nicht ziehen. Sicher, in Frankreich bestritt ich ziemlich viele Spiele; unser dortiger Torwart war allerdings so schlecht, dass niemand auf den Gedanken gekommen wäre, ihn mit dem Ball allein zu lassen, und wenn er noch so gebrüllt oder gefleht hätte. Für Irland und England kann ich immerhin sagen, dass die Leute, mit denen ich spielte, in aller Regel ihren eigenen Namen riefen, wenn sie Leo meinten. Egal, ob sie Feldspieler oder Torhüter waren. Ob die Erhebung repräsentativ gewesen ist, kann ich allerdings nicht sagen. Ich weiß ja nicht einmal, ob “der Leo” bundesweit gültig ist. Vielleicht handelt es sich ja eher ein süddeutsches Phänomen? Oder ist er, wovon ich ausgehe, auf den Plätzen in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen oder Brandenburg genauso zuhause? Kannte man ihn in der DDR? Kann da jemand was zu sagen? Und vor allem: wie sagt man in Italien? Spanien? Kroatien? Angola? Wo auch immer? Na, wer kann auf eine internationale Karriere zurückblicken?

Lutz Pfannenstiel, bitte melden Sie sich!

*Tatsächlich haben, basierend auf fussballdaten.de und meiner möglicherweise fehlerhaften Zählung, in der Bundesliga genau 3 Leos gespielt. Keiner der Herren Wilden, Spielberger und Bunk war Torwart, in Summe brachten sie es auf 120 Bundesligaspiele.

0 Gedanken zu „Leo international?

  1. Hier in Berlin ist Leo meines bescheidenen Wissens nach auch gebräuchlich, allerdings hat’s bei mir nie zu mehr als Bolzplätzen gereicht.
    Was mich beim Lesen irritierte, ist die Aussage, ein “Lass durch!” sei regelwidrig bzw. werde als unsportlich geahndet. Ist das tatsächlich so?

  2. Auch hier in NRW ist Leo bekannt, mir dünkt es aber noch aus alten Schulfußballzeiten, dass auch ab und an “Eins” gerufen wurde um diese Ziel zu erreichen.

  3. Also das “Anweisungen” regelwidrig seien, ist mir auch neu. Mir/Uns wurde gesagt, wir sollen Leo schreien, weil es einfach kürzer ist und die Assoziationswege kürzer seien.

    Und “Leo” deswegen, weil man es gut schreien kann und keiner bei uns Leo hieß.

    Ich kannte aber auch einen Trainer, der seine Spieler dazu anwies, nicht “Leo” zu rufen, sondern genauere Anweisungen zu geben. Deswegen bin ich etwas verwundert, dass eine Regel dagegen sprechen würde.

  4. Hier im Westen des Westens ruft man auch Leo und zwar aus dem Grund, dass Anweisungen eine unsportliche Täuschung bedeuten (können).

    Warum aber “leo” weiß ich nicht, hab ich mich auch oft gefragt, auch weil ich es ausnehmend dämlich fand. Ich habe es kein einziges Mal im Leben benutzt. Ein einfaches “ich” oder “yo” oder evtl. “Torwart” tut es da ja auch.

    Sehr interessant die Frage, was man da in anderen Ländern sagt. Ich habe nur drei Mal in Frankreich gespielt und einige Male in Holland, da kam es wohl nicht vor, nicht, dass ich mich erinnere.

  5. Hmm, das mit der Täuschung kenn ich andersrum, wenn ich mich recht erinnere, hat Mario Basler mal ‘ne gelbe Karte gekriegt, weil er im gegnerischen Strafraum “Leo” rief, um damit die Verteidiger zu verwirren.
    Dass es aber Fußballern verboten sein soll, auf dem Platz mit den Mitspielern zu kommunizieren, mag mir beim besten Willen nicht einleuchten.

  6. Wieso Leo? Ist doch klar: Vertauscht man die Buchstaben, hieße es “Olé!”. Aber wie wir alle wissen, ist Fußball kein Stierkampf. Folglich passte Leo einfach besser 😉

    (Wenn man wüßte, wie alt das Leo-Gerufe ist… könnte man orakeln, ob es vielleicht auf Leo Halle zurückgeht. Ein anderer Leo im Tor fällt mir grad nicht ein.)

  7. Nach meiner Einschätzung (war nie Schiedsrichter, kenne es nur von der anderen Seite) ist Kommunikation natürlich erlaubt, die Täuschung des Gegners indes unsportlich.

    Ob ein Ruf als Täuschung gilt oder gelten kann, hängt sicherlich stark von der Spielsituation ab. Wenn ein Spieler den ihm zugespielten Ball sicher bekäme, er aber auf den Ruf “Lass ihn durch” reagiert, ist das ok, wenn der Ruf von seinem Mitspieler kam. Wenn er vom Gegner kam, eher nicht, Kommunikation hin oder her. Zudem gibt es eben meines Erachtens Situationen, in denen die Unterscheidung nicht so leicht fällt. Beim Kopfballduell, wenn einer im Rücken der beiden “Leo” ruft, zum Beispiel.

    Die unterschiedliche Behandlung von “Durchlassen” und “Leo” erklärt das keineswegs – wobei es ohnehin auch Schiedsrichter gibt, die beides gleich behandeln. Auch liest man in Schiri-Foren, dass die Auslegung, einigen sagen gar die Regel selbst, vor einigen Jahren geändert worden sei. Was wiederum von Land zu Land, Landeverband zu Landesverband, Schiri-Bezirk zu Schiri-Bezirk variieren mag.

    Sehen Sie? Sie sehen nichts mehr!

    Ausführliche Diskussionen zur Regelfrage gibt’s wie gesagt insbesondere in Schiedsrichter-, aber auch in Torwartforen. Letztere haben auch eine interessante Erklärung zum Ruf “Leo” zu bieten:

    “es gibt in der lateinischen Sprache das Wort legere (lesen). Ein Torhüter muss das Spiel auch lesen können um zu erkennen wann er den Ball vor seinen Verteidigern aufnehmen will/muss. konjugiert man legere bildet sich für die erste Person Singular lego (ich lese). Nun tritt der Fall ein, dass im Eifer des Gefächtes das “g” in lego “verschluckt” wurde und sich dieser Fehler im Laufe der Zeit fest eingeprägt hat.”

    @pleitegeiger
    Gewohnt kompetent. 🙂
    [Dies ist ein Zitat]

    Eines noch in Sachen Schiedsrichter:
    Wo ist hirngabel, wenn man ihn braucht?

  8. Als ich noch in Bayern gelebt und gearbeitet habe, wurde mir das mit dem “Leo”-Rufen einmal beim Kicken im Handballtraining beigebracht. Der Bayern München-Fan,der aufgrund seiner Leibesfülle stets im Tor stand, hat dies dann auch ständig gerufen, was ich auch ziemlich albern fand. Auch ich habe mir damals immer überlegt, woher das kommen mag…

    Werde hier in Niedersachsen mal nachforschen, ob der Leo hier auch auf den Fußballplätzen wohnt…

  9. @Schwob:
    Ich bin gespannt. Wobei sich bereits abzuzeichnen scheint, dass Leo zumindest bundesweit aktiv ist.

    @Stadtneurotiker:
    In welcher Sprache? Es wird Herrn Jeremies doch wohl nicht an interkultureller Kompetenz gemangelt haben?

    @Trainer Baade:
    Quelle? Für die behauptete geringe Bildungsnähe, meine ich. 😉

  10. Ich kenne andere süddeutsche Mannschaften, in denen der Schlussmann einfach nur “Tormann” schreit, aber in meiner Mannschaft ist das gute alte Leo seit Urzeiten auch usus. Zumal sie es uns beim DFB-Stützpunkt (klingt bescheurt, hieß aber vor der letzten Reform so) damals auch so eingetrichtert haben. Könnte also ganz oben beschlossen worden sein. Aber eine sehr interessante Thematik.

    International habe ich da ziemlich seltsame Erfahrungen gemacht. Bei unseren tschechischen Gegnern hat der Torwart den Schlussmann immer nur angeschrien. Das Wort hatte mehr Silben als Leo, wurde aber sehr schnell ausgesprochen. Der Italiener hat einen spitzen Schrei ausgestoßen und alle Akteure beim Rauslaufen einfach abgeräumt, beim Franzosen hat das gar nicht funktioniert. Dürften aber Einzelerfahrungen gewesen sein.

    Leo soll also einen lateinischen Ursprung haben? Das bezweifle ich. Es wäre schon ziemlich sinnfrei, in solchen Situationen einfach nur Löwe zu schreien, ausgestrahlte Dominanz hin oder her. Zumal “Aleo” dann sowieso eine lustigere Wahl wäre.

  11. @Ste:
    Der Torwart hat den Schlussmann angeschrien? Da muss ich an die multiplen Persönlichkeiten im Zebrastreifenblog denken 😉

    im Ernst:
    Danke für die internationalen Erfahrungen – wobei ich in der Tat hoffe, dass sie nicht repräsentativ sind.

    Bzgl. der Herkunft gehe ich durchaus von Latein aus. Wenn man in der Erklärung so weit zurück gehen will. Will sagen: der Name Leo ist lateinischen Ursprungs. Und der Name ist es meines Erachtens auch, den man ruft.

  12. Wir halten fest: Schon die alten Römer riefen “Leo”, wenn sie den Ball haben wollten 😉

    Mich würde in der Tat interessieren, seit wann der Gebrauch des Leo-Codewortes üblich ist. Man stelle sich vor, Leo Beenhakker spielt in den 70er Jahren auf deutschen Ascheplätzen kann sich gar nicht aufs Spiel konzentrieren, weil ständig jemand seinen Namen ruft. Nun hat der Gute es nie zum Profispieler gebracht (vielleicht gerade deshalb?!), aber wird nicht Lionel Messi auch immer von seinen Teamkameraden “Leo” gerufen? Verwirrung im Quadrat!

    Im letzten Herbst erhielt Theo 20er übrigens den LEO-Baeck-Preis. Hat fast keinen Zusammenhang, habe ich aber gerade gelesen…

Schreibe einen Kommentar zu Pleitegeiger Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert