Die deutsche Mannschaft ist, wie wie alle wissen, mit einem 4:0 über Australien in die Weltmeisterschaft gestartet. Nicht schlecht, um mal ein schwäbisches Kompliment zu verteilen.
Die Kommentatoren bemühen sich, einerseits die phasenweise herausragende Offensivleistung zu würdigen, ohne andererseits die zumindest in diesem Spiel überschaubare Qualität des Gegners außer Acht zu lassen. Die Bewertungen schwanken bei Twitter zwischen dem augenzwinkernden “Auf Tage hinaus unschlagbar” und “Bleibt mal auf’m Boden” (@textundblog wird sich wohl beschweren, weil ich einen seiner sehr seltenen Tweets mit Rechtschreibfehler verlinkt habe), und auch in Blogs und klassischen Medien variiert die Bewertung irgendwo zwischen “Super gespielt, aber…” und “Schwacher Gegner, aber…”.
@goonerportal bringt die immer wieder anklingende Sorge, die deutsche Elf verschieße ihr Pulver in der Vorrunde, mit einem spielerischen Kompliment auf den Punkt:
(1/2) Wenn Deutschland wie die Niederlande und die Niederlande wie Deutschland spielt, sollte das die meisten Fans nicht beunruhigen?
Die gemeine Leserin weiß, dass die Elftal seit Jahr und Tag für überaus attraktiven, allerdings nur selten erfolgreichen Fußball steht, während die Turniermannschaft Deutschland buchstäblich legendär ist. Steht also zu erwarten, dass die Deutschen endlich einmal Weltmeister der Herzen Vorrundenweltmeister werden, um dann im Achtel- oder Viertelfinale mit wehenden Fahnen unterzugehen?
(2/2) Schließlich würden die Chancen für Jogis Jungs nach der Gruppenphase ziemlich mäßig stehen. #Vorrundenweltmeister
Man weiß es nicht. Aber man könnte sich möglicherweise ein wenig be(un?)ruhigen, indem man die Statistik bemüht: Was haben denn die großen Auftaktsieger vergangener Weltmeisterschaften gerissen?
Die Antwort lautet: ziemlich viel, zumindest in den Anfangsjahren der WM-Historie. 1934 gewannen der spätere Weltmeister und der Drittplatzierte ihr jeweiliges Auftaktmatch mit 7:1 bzw. 5:2, 1950 und 1954 begannen die Weltmeister mit 8:0 bzw. 9:0.
In späteren Jahren wurde es ein wenig dünner. Die Mannschaften sind ausgeglichener, Kleine gibt es ja ohnehin keine mehr, wie wir spätestens seit Rudi Völler und dem 8:0 gegen Saudi-Arabien wissen. Von den 6 Mannschaften, die seit 1970 ihr Auftaktspiel mit 4 oder mehr Toren Unterschied gewannen, schied eine gleich in der Vorrunde aus (Ungarn 1982 nach dem 10:1 gegen El Salvador), drei scheiterten im Achtelfinale (darunter Spanien 2006 nach einem 4:0 gegen die Ukraine, die nicht zwingend als drittklassig zu gelten hat), die Tschechoslowakei kam 1990 immerhin ins Viertelfinale und nur Deutschland erreichte 2002 das Finale.
Nimmt man noch diejenigen hinzu, die zum Auftakt mit 3 Toren Differenz gewannen, sieht die Bilanz vor allem 1958 und in den 70er Jahren, aber auch mit Blick auf Deutschland 1990 und Frankreich 1998, noch etwas besser aus, dafür kommt insbesondere der 2006er Mitfavorit Tschechien auf der Negativseite hinzu, der nach einem glanzvollen 3:0-Start gegen die USA ohne weiteren Treffer sang- und klanglos ausschied.
Quintessenz:
Man muss mit allem rechnen.
Was selbstverständlich auch für die eher zurückhaltend gestarteten Mannschaften gilt. Schließlich erinnern wir uns alle noch daran, wie der angehende Weltmeister Italien 1938, als es noch keine Gruppenphase gab, sein erstes Spiel gegen Norwegen nur mit Mühe und Not in der Verlängerung gewinnen konnte. Oder wie der spätere Vizeweltmeister Italien 1970 mit einem Torverhältnis von 1:0 durch die Vorrunde marschierte. Oder wie Italien 1982 mit drei alles andere als ruhmreichen Unentschieden startete, ehe man Weltmeister wurde. Oder wie Italien 1994 den Weg zur Vizeweltmeisterschaft mit 0:1, 1:1 und 1:0 anging.
Oder an Deutschland, das nicht nur 1982 zum Start gegen Algerien groß aufspielte, sondern auch vier Jahre später mit bescheidenen 3:3 Punkten und 3:4 Toren weiterkam. Die glorreiche Elftal startete 1978 ebenfalls mit lediglich 3 Punkten, genau wie die Tschechoslowakei 1962 und Argentinien, das 1990 zum Auftakt gegen Kamerun verlor. Lauter Vizeweltmeister – der einzige Weltmeister mit nur drei Vorrundenpunkten (nach alter 2-Punkte-Regel, natürlich) war Italien 1982. Lediglich drei spätere Finalisten gewannen alle drei Vorrundenspiele, und alle drei wurden dann auch Weltmeister: Brasilien 1970 und 2002 sowie Frankreich 1998.
Ungarn hatte 1954 zwar auch eine weiße Weste, musste aber als gesetzte Mannschaft lediglich zwei Vorrundenspiele bestreiten – eines bekanntlich recht erfolgreich gegen den später siegreichen Finalgegner. Diese Konstellation gab es übrigens nur ein weiteres Mal: 1962 trafen die angehenden Finalisten aus Brasilien und der Tschechoslowakei ebenfalls in der Vorrunde aufeinander und trennten sich 0:0.
Sehen Sie? Sie sehen nichts mehr.
Ich beschwere mich, weil Du einen meiner sehr seltenen Tweets mit Rechtschreibfehler verlinkt habest. 😉
hast, menno.
@Markus:
Du bist ja so berechenbar. 😉
Gegener ist nett und er zweite Verschreiber im Kommentar erst recht. @Markus und das dir! 😉
@heinzkamke, fein, dass du schreibst, war ja nicht so sicher im Vorfeld. 🙂
Ich störe mich ohnehin an der allgegenwärtigen Neigung, bei Turnieren von einem Spiel auf die folgenden Partien schließen zu wollen, um damit Aussagen über den Turnierverlauf zu treffen. Das ist ja das Schöne an einem Turnier, dass die objektiv beste Mannschaft am Ende nicht zwangsläufig ganz oben steht. Diese Unwägbarkeit hat uns deutsche Fußballfans vor Jahrzehnten der sportlichen Dürre bewahrt.
Fest steht, dass die deutsche Mannschaft Selbstvertrauen tanken konnte. Da ist der Gegner erst einmal zweitranging, denn hauptsächlich ging es darum, die einstudierten Lauf- und Passwege, Taktiken und Spielzüge unter Wettbewerbsbedingungen zu testen. Funktioniert das überhaupt so, wie wir uns das ausgedacht haben? Ja, es funktioniert. Das gibt Sicherheit. Fürs eigene Spiel, aber nicht fürs Weiterkommen. Deswegen bleibt’s spannend und ich nervös und die WM aufregend und das Wetter schön!!!
Statistiken, die keine wirkliche Aussage vermitteln können, sind sowieso die Besten. Ich fühle mich jedenfalls nicht widerlegt, nur von meinem Umfeld leicht angefeindet. 😉
@Ute:
Fein, dass Du das so siehst 🙂
@Hennes:
Gibt es denn eine objektiv beste Mannschaft? Oder willst Du gar andeuten, Griechenland sei 2004 nicht die objektiv beste Mannschaft gewesen? Welche Kriterien sind denn objektiver als die nackten Ergebnisse? Na? Na? Na? 😉
Ich freu mich auch riesig auf den Fortgang der WM, und irgendwie geht’s schon wieder viel zu schnell voran (und bald vorbei).
@Ste:
Wüsste auch nicht, wieso (und wie) man Dich da widerlegen sollte.
Ungarn wäre sicher tatsächlich Weltmeister geworden, wenn Deutschland in jenem Jahr Vizeweltmeister geworden wäre, oder: die Blume, durch die ich hier spreche, ist ein bisschen klein geraten.