Enjambement

Neulich hab ich mal wieder so ein Schreiben erhalten. 30 Zeilen am Stück, eine zähe Masse. Natürlich, jeder kann seine Briefe so gestalten, wie er will. Dennoch: Absätze sind klasse. Erleichtern das Lesen und das Verstehen. Versprechen längere Aufmerksamkeit. Neue Gedanken sind gleich zu sehen. Möglicherweise – oder geht das zu weit? – ist der Leser auch eher bereit, sich etwas länger fesseln zu lassen. Er findet Gefallen und nimmt sich Zeit, anstatt den Schreiber, naja, zu hassen. Oder die Schreiberin, klar, kein Unterschied (meine Lesebrille ist geschlechtsneutral). Die zähe Masse verdirbt den Appetit. Der strukturierte Text indes gibt das Signal, dass die Autorin sich was dachte. Ihre Gedanken sortierte. Dass sie, wenn ich es recht betrachte, eben jene Zeit investierte, und wohl noch ein wenig mehr, die sie der Leserin abverlangt. Ja, ich vereinfache. Sehr. Und doch: der Schreiberin sei gedankt, die mich als Leser durch den Text geleitet. Die mir alle paar Zeilen sagt: “Jetzt kommt was Neues, sei vorbereitet!” Schließlich ist man als Leser schon genug geplagt, sich Gedankengänge zu erschließen, die der Schreiberling so von sich gibt. Wenn dann auch noch die Zeilen fließen, weil der Autor selbstverliebt – ganz berauscht von seinem Stil – eine Suada formuliert, wird’s mir als Leser echt zuviel: ich möchte Umbruch und Geviert! Mal ganz im Ernst, ich seh’s nicht ein: warum macht man’s dem Leser schwer? Wenn’s aber Absicht ist – das mag ja sein – dann wirkt’s ein wenig elitär. Man schreibt dann wohl im festen Glauben, es sei der klugen Leser liebstes Spiel, sich selber ihre Zeit zu rauben: die Dechiffrierung sei ihr höchstes Ziel. Derlei erzeugt nicht nur beim Leser Frust – auch die Autorin schränkt sich ein. Denn Ästheten sind sich wohl bewusst: ein Umbruch kann per se was Schönes sein. Passend gesetzt ist er ein Segen: im Brief, im Buch, im Spielbericht. Noch etwas mehr ist er hingegen: im Gedicht. (Gedanklich war hier ne Zäsur, ein Absatz wäre zu empfehlen. Dagegen spricht, ich kann es nicht verhehlen: dieser Text ist, seien wir mal ehrlich, nurmehr Selbstzweck, Fingerübung, Quatsch. Ich habe Spaß, drauf los zu schreiben und dabei absatzlos zu bleiben. Der Leser sagt zurecht: too much.) Bei Strophen, Versen und so weiter gehört der Umbruch wohl zur Norm. Ist unerlässlicher Begleiter, prägt den Stil und definiert die Form. Doch halt! Was soll denn das nun wieder werden? Kein Aufsatz über Lyrik (Theorie)! Selbstüberhöhung mochte ich noch nie. Sagt, könnte mich mal bitte jemand erden? Wie kann man sich denn bloß so dumm gebärden? Ist Größenwahn jetzt “die” Philosophie, gepaart mit einem bisschen Idiotie? Das Kommentarfeld sammelt die Beschwerden. Ich hör jetzt auf, hab mich total verloren. Verstecke mich, bedecke Aug’ und Ohren. Die Nase auch, und beiß’ mir auf die Zung’. Lasst mich nur einen Augenblick verweilen. Und gönnt mir abschließend noch einen Zeilen-

sprung.

0 Gedanken zu „Enjambement

  1. Welch schönes Arrangement erblüht in diesem Enjambement. Zeile für Zeile ein Hochgenuss, gleicht sie vollendet einem Musenkuss.

  2. @Trainer Baade:
    Mach kein’ Scheiß!
    Wenn ich mich kurz zitieren dürfte:

    …dieser Text ist, seien wir mal ehrlich, nurmehr Selbstzweck, Fingerübung, Quatsch. Ich habe Spaß, drauf los zu schreiben und dabei absatzlos zu bleiben.

    So Du aber dennoch meinst, ihn ernst nehmen zu müssen, darf ich zudem darauf verweisen, dass Blogbeiträge bewusst nicht genannt werden:

    …im Brief, im Buch, im Spielbericht.

    Abschließend gebe ich zu, dass ich kurz darüber nachdachte, die gelegentlichen absatzlosen Ergüsse des Trainer Baade explizit als großartige Gegenbeispiele zu benennen, aber ich hatte keine Zeilen mehr. Diese formalen Anforderungen sind ja mitunter dermaßen streng…

  3. Alles Böse wünsch ich dir
    fern vom Leibe, bleibe mir
    alles, Unglück treffe dich
    niemals niemals – denk an mich!

Schreibe einen Kommentar zu jon dahl Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert