Bus- und Betttag

Drüben beim Fitzelkönig geht’s seit einigen Tagen ans Eingemachte. Um “Fußball und Liebe“, und um das Spannungsfeld, das bisweilen aus dem mehr oder eben weniger harmonischen Zusammenspiel dieser beiden Himmelsmächte entsteht.

Aufhänger ist die Champions-League-Partie zwischen Bayer Leverkusen und dem FC Barcelona, die just am Valentinstag stattfindet, der bekanntlich in manchen Kulturkreisen eine besondere Bedeutung für Liebende hat. Hinsichtlich der hiesigen Verhältnisse zitiere ich gerne die geschätzte Online-Enzyklopädie:

Allgemein bekannt wurde der Valentinstag durch die vor dem 14. Februar verstärkt einsetzende Werbung der Floristen und der Süßwarenindustrie.”

Aber wir wollten ja nicht Sinn und Unsinn des Valentinstags diskutieren, sondern die Liebe. Und den Fußball. Und wie es die beiden miteinander aushalten.

In besagtem Text und den dortigen Kommentaren liegt der Fokus eindeutig auf passivem Fußball. Auf Konflikten, die sich aus dem Fandasein ergeben, sozusagen im Stil und Geiste von Fever Pitch, während Begriffe wie “Niemandsland”, “Kreisliga” oder “Ascheplatz” lediglich der Illustration elendiglichen Scheiterns dienen – dabei spielt sich doch dort, beim echten, ehrlichen Fußball, das wahre Leben ab.

Das war übertrieben. Aber es stimmt, dass “Fußball” für mich persönlich vor allem anderen der selbst betriebene Sport ist. Kicken, möglichst regelmäßig, mit Gleich- oder auch völlig anders Gesinnten, die aber meine Leidenschaft teilen, und die gerne auch ähnlich alt, dick und langsam sind wie ich. Wenn es dann um das Spannungsfeld zwischen Fußball und Liebe geht, steht mein Fandasein, obschon es an der einen oder anderen Stelle durchaus Konfliktpotenzial bergen könnte, zunächst einmal im Hintergrund. Keine Champions League, keine Auswärtsfahrten, kein Besuch in der Fußballstammkneipe, sondern der bloße Wunsch, selbst auf dem Platz zu stehen, und dessen Konsequenzen.

Wobei das mit dem Auf-dem-Platz-Stehen so eine Sache ist. Zu Zeiten der per kaiserlichem Dekret auf Jahre hinaus festgeschriebenen Unschlagbarkeit deutscher Fußballnationalmannschaften, als ich weder alt noch dick und darüber hinaus nicht ganz so langsam war, verließ ich aus mancherlei Gründen meinen Heimatverein, um mich beim benachbarten Platzhirschen zu versuchen, zunächst in dessen Reserve, die nur geringfügig höher spielte, mit der Option auf die erste Mannschaft, die allerdings einen etwas größeren Sprung darstellte.

So spielte ich in den ersten Wochen in der Reserve, die als Aufsteiger für Furore sorgte, während die Erste verheerend in die Saison startete und schon nach kurzer Zeit keinen Zweifel daran ließ, dass es einzig und allein darum gehen würde, den Abstieg zu vermeiden. Ich trainierte viel und fleißig, zudem hatte ich mir in jenem Studiensemester ein bisschen viel aufgeladen, mit der Konsequenz, dass mich meine Freundin, vorsichtig ausgedrückt, nicht übertrieben häufig sah. Meist wurde dreimal in der Woche trainiert, sonntags gekickt, sodass ich in meiner Ernsthaftigkeit auch samstags nur sehr bedingt “auf die Piste” ging, was bei der Dame meines Herzens mitunter für Verdruss sorgte.

Sicher, ich konnte ihre zeitweise Unzufriedenheit nachvollziehen und war auch auf der Suche nach Lösungen, sofern sie keine Kürzung der Fußballzeit und die Beibehaltung eines Mindestmaßes an Studienaufwand beinhalteten – ein schwieriges Unterfangen. Um kein falsches Bild entstehen zu lassen:  Meine Beziehung war mir wichtig, ich war jung und verliebt. Der Herbst mit seinen Freizeit verheißenden Feiertagen ließ mich insofern ein wenig im Stich, als sowohl der dritte Oktober als auch Allerheiligen auf ein Wochenende fielen – aber wir hatten ja noch, die Älteren werden sich erinnern, die Sachsen haben ihn nach wie vor, den Buß- und Bettag. Pläne wurden geschmiedet, die einen kleinen Ausflug und vor allem viel, wie soll ich sagen, Qualitätszeit zu zweit vorsahen. Schön.

Am Dienstag vor dem Feiertag – Buß- und Bettag fällt bekanntlich immer auf einem Mittwoch – trainierte ich locker mit der Reserve, die Erste war wegen einer für besagten Mittwoch angesetzten Nachholbegegnung nicht zugegen. Umso überraschter war ich, als der Abteilungsleiter, der sich sonst eher rudimentär mit der Zweiten befasste, zu uns auf den Platz kam. Die Überraschung nahm noch zu, als er mich kurz zur Seite nahm: “Hast Du morgen Zeit? Der neue Trainer würde Dich gerne zum Spiel mitnehmen.” Hatte ich noch gar nicht erwähnt, dass angesichts des anhaltenden Misserfolgs die Gesetze der Branche gegriffen und die Vereinsoberen einen Interimstrainer installiert hatten?

Der neue Trainer wollte mir also eine Chance geben, und ganz ohne Ehrgeiz war ich natürlich nicht. Aber da war ja auch diese romantische Verpflichtung. Also sagte ich dem Abteilungsleiter, ich müsse erst meine Freundin fragen, ob wir “den geplanten Ausflug” verschieben könnten. Dabei wussten wir beide, wie das eben so war, dass ich natürlich kicken gehen würde, koste es, was es wolle.

Was nichts daran änderte, dass der Anruf getätigt werden musste. Drama, Baby!

Ich verbrachte also den Abend infolge einer von meiner Freundin völlig grundlos abgesagten Verabredung zuhause. Am nächsten Morgen brachen wir recht früh auf. Vielleicht sollte ich vorausschicken, dass wir, geographisch gesehen, so etwas wie das Tom Tomsk der Liga waren. Wir lagen in einem Zipfel des Verbandsgebietes, nicht wenige der anderen Mannschaften nah beisammen in einem anderen. So stand also eine knapp vierstündige Busfahrt bevor, genügend Zeit für das verunsicherte Schlusslicht, sich auf die Bewährungsprobe bei einem der Aufstiegsfavoriten einzustimmen. Wie ich schon sagte: Drama, Baby!

Der Busfahrer hatte vorgegeben, sich im Zielgebiet auszukennen, sodass ich mich zwar wunderte, dass er nach ein paar verkehrsbedingten Verzögerungen an einem Ort zur mittäglichen Nahrungsaufnahme bat, der nach meiner Wahrnehmung noch verdammt weit vom Zielort entfernt war, aber wie gesagt: er kannte sich aus, und auch die erfahrenen Mitspieler kannten die Liga und deren Spielorte gewiss besser. Als indes das Essen noch eine Weile auf sich warten ließ, wurden auch sie nervös, während der Fahrer gelassen blieb und erst unter verstärktem Druck zur raschen Weiterfahrt bewegt werden konnte.

Um es kurz zu machen: 10 Minuten vor dem geplanten Anpfiff kamen wir am Spielort an, der mit dem Auto und einigen Edelfans voraus gefahrene Abteilungsleiter machte sich als HB-Männchen hervorragend, nach 20 Minuten stand es 4:0, am Ende 7:0, und nach dem Spiel sollte der Trainer einem erfahrenen Spieler auf Nachfrage erläutern, dass “es für den Heinz sicher nicht gut gewesen wäre, ihn bei diesem frustrierenden Spiel einzuwechseln.”

Die Heimfahrt war ein wahres Vergnügen. Vorwürfe an den Busfahrer,  Vorwürfe an den Trainer, Vorwürfe an den abwesenden Ex-Trainer, Vorwürfe an die Vereinsführung, Vorwürfe der Spieler untereinander. Drama, Baby!

Der eine oder andere Gedanke, der mir in diesem Bus durch den Kopf ging, enthielt einen Anflug von Reue. Vielleicht wäre der Betttag doch die bessere Alternative gewesen.

0 Gedanken zu „Bus- und Betttag

  1. Wohl wahr, jens, ein echter Kamke.

    Bemerkenswert, dass man überhaupt für Ligaspiele für derart lange Zeit in einen Bus steigen konnte, dass sich zu verfahren möglich wurde. Hier ist es eher so, dass man keine 5km weit kommt, ohne beim nächsten Fußballverein zu sein, welcher zwar nicht zwangsläufig ebenso groß ist, und doch aber trotzdem.

    Insofern eine nur in bestimmten Regionen mögliche Geschichte. Ich freue mich ja immer, etwas über ferne Kulturen etc. zu lesen und zu lernen. Wie auch über den jungen Kamke und dass dieser seinen Heimatverein verließ – eigentlich ein Frevel, den er hier mal eben so in einem Nebensatz unterbringt.

    Was ich unbedingt begrüße, sind die weiterhin publizierten Geschichten aus dem selbst erlebten Fußball. Da geht nichts drüber – wie man hier wieder sieht. Sehr schön, sehr gerne gelesen.

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