Tinte ist aus.

Man kennt das ja: neue Trainer brauchen meist eine Weile, um den Spielern ihre Philosophie nicht nur zu vermitteln, sondern sie auch in der Lage zu versetzen, eben diese Philosophie umzusetzen. Zumindest wird es so dargestellt. Die vergangene Saison sprach bei den Bayern nicht unbedingt gegen diese These, auch wenn man aus der laufenden Saison schon wieder Gegenargumente ziehen könnte. Und Jürgen Klopp hat, wenn ich mich recht entsinne, schon zu Mainzer Zeiten gelegentlich darauf hingewiesen, dass Neuzugänge in seinen Mannschaften mitunter eine ganze Weile bräuchten, bis sie soweit seien, in seinem System mitzuspielen.

Jens Keller ist schneller. Bis vor kurzem hatte ich noch den Eindruck, das eine oder andere Gross’sche Element im Spiel zu entdecken. Strategisches Geschick und Stabilität im Zentrum, mit Träsch und meinetwegen Gentner, Tempo auf den Außenbahnen, Sie wissen schon. Nachdem sich indes bereits in der Vorwoche die Anzeichen verdichteten, dass der junge Mann vom VfL Wangen nun eigene Ideen ausprobieren wolle, dass neben einem Libero vor der Abwehr vor allem lange, hohe Bälle in die Sturmmitte das Stil prägende Element seines Konzepts seien, brach sich die Keller’sche Handschrift gestern in Hannover, in seinem erst neunten Bundesligaspiel, endgültig Bahn. Diese Handschrift heißt Langholz Antiqua. Insgesamt wirkt sie ein wenig plump und bedarf an den Rändern noch der Verfeinerung. Insbesondere bei den Buchstaben B wie Boka, C wie Cacau und E wie Elson haben die Serifen ein etwas verschnörkeltes Eigenleben entwickelt. Zudem wirken das N wie Niedermeier und das D wie Delpierre etwas instabil, das N scheint darüber hinaus mitunter zu tief gestellt.

Ein weiteres Problem, das kein richtig gutes Licht auf den Gestalter wirft, besteht darin, dass der Langholz Antiqua ein kantiges P wie Pogrebnyak eigentlich besser zu Gesicht stünde als jenes verspielte E wie Elson, das Keller aus irgendeinem alten Hut zauberte, um den Eindruck von Inspiration zu erwecken – an der es sowohl seiner Handschrift als auch dem aus Verzweiflung ins Spiel gebrachten E letztlich doch ein wenig zu mangeln scheint.

Genug. Mir ist nicht nach Späßle. Ich habe in den letzten Jahren einige schlechte Spiele des VfB gesehen. Teilweise richtig schlechte. Aber selten bin ich so frustriert nach Hause gegangen wie gestern abend. Es war furchtbar. Ich hatte Mitleid. Mit dem Ball. Mit dem Platz. Natürlich auch mit mir selbst. Mit jedem, der sich das vor Ort ansehen musste. Zumindest mit jedem Stuttgarter, aber auch mit allen neutralen Zuschauern, mit Fußballästheten sowieso (wobei Hannover ja wenigstens taktisch gut organisiert war und mitunter schnelle und durchaus gelungene Angriffe vortrug).

Für mich – und ja, das ist vollkommen subjektiv, vielleicht legen irgendwelche Statistiken andere Schlüsse nahe – war die gestrige Leistung des VfB eine fußballerische Bankrotterklärung. Und die Strategie des Trainers gleich mit.

Wie sagte gestern einer meiner Tischnachbarn? “Natürlich ist Labbadia ein Fortschritt. Jeder wäre ein Fortschritt. Hier, der junge Mann am Nebentisch meinetwegen. Oder irgendein Haustier.”

Möglicherweise hat er ein wenig übertrieben. Aber mit Bruno Labbadia kann ich leben. Trotz aller Vorbehalte. Ich hab ein Faible für Labbadia, das – völlig irrational – aus Schulzeiten stammt, als mein Mitschüler mit Darmstädter Wurzeln stets von Labbadía schwärmte, den ich selbst als lediglich treuer kicker-Leser immer nur “Labbadja” ausgesprochen hatte. Egal. Er hat mir auf dem Platz imponiert. Und der Fußball, den seine Mannschaften gespielt haben, war häufig auch nicht so schlecht. Natürlich weiß ich, dass der Erfolg meist nicht lange anhielt. Ich finde es übrigens auch gut, dass er als Oberligatrainer der Lilien angefangen hat – dass sein persönlicher Aufstieg nur in seltenen Fällen auch mit dem der Mannschaften einher ging, ist mir gleichwohl bewusst und ein Dorn im Auge. Aber ich will jetzt nicht argumentieren. Für Labbadia. Gegen Labbadia. Oder doch noch für den großen Unbekannten.

Alles ist besser als der Status quo. Und eine neue Handschrift wäre schön. Eine, für die die Tinte ein Weilchen reicht.

0 Gedanken zu „Tinte ist aus.

  1. Du sprichst mir aus dem Herzen. Gerade auch, was den Abschlussabschnitt zu Labbadia angeht. Wider alle Ratio.

    Nur bei einem muss ich widersprechen: DIE Strategie gab es ja gestern gar nicht. Das waren mindestens drei verschiedene Systeme, die gestern im Laufe des Spiels gespielt wurden. Wie halt ein Trainer, der weiss, dass er nichts mehr zu verlieren hat.

  2. Ich hab tatsächlich nur eine Strategie gesehen: den Ball nach vorne schlagen. Egal, ob der Ball in der Mitte bei Träsch war, irgendwo in der gegnerischen Hälfte bei Cacau, hinten links bei Boka: er musste zwischen Knie- und Überkopfhöhe an den Strafraum.

    Von Konzepten oder Spielsystemen will ich gar nicht reden. Abgesehen davon, dass zunächst offensichtlich Elson in einem 4-2-3-1 den Özil geben sollte. Selbst wenn man außer acht lässt, dass Elson weder torgefährlich noch schnell ist und weder die Form noch das nötige Selbstvertrauen für die aktuelle Situation mitbringt, kann selbst Özil nur glänzen, wenn der eine oder andere Spieler gewillt ist, ihm gelegentlich den Ball zu geben. Anstatt… genau: den Ball hoch in die Mitte zu schlagen.

    1. Ich hab tatsächlich nur eine Strategie gesehen: den Ball nach vorne schlagen.

      Stimmt nicht. “Platz umpflügen” war auch noch eine Vorgabe. Hatten sich aber einige Spieler nicht merken können. Mussten in der Pause erinnert werden.

  3. ich hoffe ja, dass es labbadia so geht wie damals magath, als er zum vfb kam: galt eigentlich als “verbrannt” und menschlich abseitsverdächtig, hat sich (bzw. sein image) dann aber doch gewandelt und dreieinhalb jahre gute bis sehr gute arbeit gemacht.

    aber ich habe ja auch gehofft, dass keller bei vfb das wird, was klopp bei mainz war.

    so ist es eben gerade: eine woche hoffen. 90 minuten enttäuscht werden.

  4. Oh, ein herzliches Willkommen dem großartigsten Zwölfzeiler in meiner Blogwelt!

    so ist es eben gerade: eine woche hoffen. 90 minuten enttäuscht werden.

    Exakt auf den Punkt gebracht.

    Wenn man so will, trat der von Dir dargestellte Magath-Effekt ja auch beim ebenfalls abgeschriebenen Veh ein, zumindest lang genug, um Deutscher Meister zu werden. Und wieder ein Fünkchen Hoffnung…

  5. Mit Sicherheit geeigneter als die meisten Haustiere, der Herr Labbadia, und einmal internationalen Wettbewerb haben wir bei dem auch nock gut. Was für ein furhtbares, typisches VfB-Spiel, dieses 3:3 gegen die bereits abgestiegenen Bielfelder vor 10 Jahren. Ob er wohl verpflichtet wurde, weil er damals getroffen hat?

  6. Leicht offtopic: Da ich nur die letzten 10 Minuten des Spiels sah, kann ich kaum glauben, dass Hannover “durchaus gelungene” Angriffe vortrug (selbstredend glaube ich es dem Autoren trotzdem). Was ich sah, hatte eher etwas mit Slapstick zu tun, was zwar in der Bundesliga auch nicht so selten ist, aber in dieser geballten Form in nur 10 Minuten dennoch rar.

  7. @Jon Dahl:
    Auf Stuttgarter Seite war damals ja der heutige Scout Jens Keller mit von der Partie. Kaiserslautern war nicht das erste 3:0, das er aus der Hand gab…

    @Schwob:
    Gilt glänzendes schwarzes Haar als Winterfell?

    @Trainer Baade:
    In der Tat war es fast schon amüsant, wie Hannover gegen Ende mit seinen Konterchancen umging. In der ersten Halbzeit war aber schon die eine oder andere gute Kombination dabei, bei der entweder der letzte Pass nicht stimmte oder aber, speziell bei einem wirklich schönen Angriff mit Direktspiel und allem, was so dazu gehört, Ulreich stand im Weg.

    A propos “letzter Pass”: dass der nicht gelinge, beklagte auch der Reporter, als die Stuttgarter die Gelegenheit zum schnellen Angriff mit einem Fehlpass hinter der Mittellinie vertaten.

    @rotebrauseblogger:
    Wobei die Hertha ja auf einen erfahrenen Trainer setzte, der Labbadia zumindest eher ist als Keller.

    @1ng0:
    Ich erröte. Und werde mich bemühen, künftig wieder mehr Schläue einzubauen.

  8. Labbadia hat bei seinen bisherigen Vereinen besonders auf eine starke Defensive geachtet. Ich erinnere mich an ein Interview, in dem er zu Protokoll gab, dass er ein 0:0 fast noch mehr genießt als ein 3:3. Das mag man als Fußballfan seltsam finden, es ist aber nicht schlecht für einen Verein, der aktuell vorallendingen unten raus kommen will.

  9. Gestern bei Sport im Dritten hat er auch betont, zunächst an der Defensive arbeiten zu wollen. Alles andere wäre angesichts der Stuttgarter Defensivleistungen der letzten Wochen und Monate auch fahrlässig.

    Gleichwohl habe ich die Spielweise seiner Mannschaften durchaus als offensiv und attraktiv in Erinnerung. Wobei die nackten Zahlen, abgesehen von den beiden ersten Saisons in Darmstadt, irgendwie durchschnittlich scheinen (ohne das genauer analysiert zu haben): bei der erzielten Toren steht vorne eine 5, bei den kassierten eine 4.

  10. Das mit dem 0:0 kann ich nun grade mal gar nicht bestätigen. Unter Bruno hatte ich immer das Gefühl, dass man besser 5 Tore macht um ganz sicher zu sein nicht mehr zu verlieren. Aber vielleicht lags bei uns auch am anderen Personal.

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