Outcoached

Mit den nordamerikanischen Profiligen in den verschiedensten Ballsportarten hab ich’s nicht so. Das mag zum einen daran liegen, dass meine Affinität zu den USA nicht sonderlich ausgeprägt ist, zum anderen an einer gewissen Abneigung gegen Closed Shops. Aber ich bin Laie und mache mir möglicherweise ein völlig falsches Bild. Dennoch bekomme ich als sportinteressierter Mensch manches mit und beneide die Nordamerikaner gelegentlich um ihre Sportsprache. Der Begriff “outcoached” zum Beispiel ist so simpel wie aussagekräftig, auch wenn man über seine inhaltliche Berechtigung häufig unterschiedlicher Meinung sein kann.

Mein persönliches Paradebeispiel (wie gesagt: man kann da anderer Meinung sein) für eine Trainerleistung, die den Gegner allem Anschein nach völlig unerwartet getroffen und letztlich ganz offensichtlich überfordert hat, war die von Marcello Lippi im WM-Halbfinale 2006. Die deutschen Verantwortlichen waren schlichtweg nicht darauf vorbereitet, dass Lippi zu Beginn der Verlängerung so offensiv wechseln und 10 Minuten später sogar noch nachlegen würde. Der Ausgang ist bekannt.

Am Freitag habe ich mich ein wenig daran erinnert gefühlt. Selbst Professor Thon gab sich in der Pause des Spiels seines VfB Hüls FC Schalke 04 vollkommen überzeugt, dass Felix Magath die defensive Ausrichtung nicht verändern würde, und vermutlich sah man das auf Stuttgarter Seite ähnlich. Magath jedoch dachte nicht daran, die Erwartungen zu erfüllen und brachte für den defensiven Matip mit Alexander Baumjohann einen offensiven Spieler und ließ den zweiten “10er”, Ivan Rakitic, etwas hinter ihm agieren. Ehe der VfB sich versah (und natürlich unter Zuhilfenahme individueller wie auch kollektiver Aussetzer), hatte Schalke Jens Lehmann zweifach bezwungen, agierte insgesamt offensiver und hielt das Spielgeschehen zusehends aus der eigenen Hälfte heraus. Dem VfB gelang es nicht, nach dem zweiten Rückstand nochmals vernünftig ins Spiel zu finden, sodass man hinterher zwar angesichts der Gelegenheiten aus der ersten Hälfte mit dem Ergebnis hadern, letztlich aber nicht von einer unverdienten Niederlage sprechen kann – eben weil man gegen Ende des Spiels nicht mehr in der Lage war, Druck zu entwickeln.

Zwar stand in den letzten 10 Minuten mit Marica ein zusätzlicher Stürmer auf dem Feld, doch wenn der Preis dafür ist, dass Cacau den Spielmacher geben soll (und noch dazu von den Mitspielern tatsächlich jeden Ball bekommt), halte ich das für keine gute Lösung. Es war offensichtlich, dass Schalke vor dem Duo Hleb-Molinaro einen Heidenrespekt hatte, und selbst wenn die beiden nicht so häufig auf die Grundlinie durchkamen wie in den Spielen zuvor, entwickelten sie doch weitaus mehr Gefahr als die im Offensivspiel kaum vorhandene rechte Seite. Kurz: zum ersten Mal bin ich der Ansicht, dass der Trainer Aliaksandr Hleb nicht hätte vom Platz nehmen sollen.

So bleibt unter dem Strich eine ärgerliche, weil unnötige Niederlage gegen eine taktisch disziplinierte Schalker Mannschaft mit einem  Torwart, den Herr Wieland in seiner treffenden Analyse völlig zurecht über den grünen Klee lobt. Auf Stuttgarter Seite war Zdravko Kuzmanovic sehr auffällig, was allerdings mit einem eher blassen Sami Khedira einher ging. Ich weiß nicht, ob die taktische Vorgabe des Trainers lautete, dass Khedira eher den Träsch geben und Kuzmanovic in stärkerem Maß nach vorne spielen solle; letztlich würde ich mir von den beiden aber ein noch überraschenderes Wechselspiel erhoffen. Wobei die Wahrscheinlichkeit, dass Khedira in der nächsten Saison noch mit von der Partie ist, derzeit von Woche zu Woche sinken dürfte bzw. bereits jetzt ein all-time low erreicht haben könnte.

Interessant finde ich übrigens, dass man es ohne genauere Kenntnis der Abseitsregel zu 23 Profijahren und 61 Länderspielen bringen kann (sinngemäß: “Es wäre nur dann kein Abseits gewesen, wenn Westermann den Ball nach hinten bzw. quer gespielt hätte”), und gar possierlich war Olaf Thons Versuch, in einem Satz gleichzeitig Jens Lehmann für dessen “Spielchen” in Sachen WM-Torwart zu rügen und seinerseits nicht nur Manuel Neuer zu pushen, sondern auch noch die Kompetenz der Verantwortlichen bei der Nationalmannschaft in Frage zu stellen: “Jeder sieht, dass er der Beste ist.”

PS: Falls jemand fragt, wer den Part von Fabio Grosso als Sympathieträger Nr. 1 übernommen habe: Heiko Westermanns ständiges Gemecker über die Entscheidungen von Lutz Wagner ging mir ziemlich auf den Geist.

0 Gedanken zu „Outcoached

  1. Danke fürs Lob. Und ich gebe zurück: Die Einschätzung zu Hleb teile ich. Ich war sehr froh, als er vom Platz geholt wurde, weil er eben einer der „starken Individualisten“ ist, die aus nix was machen können.

    Das Heiko Westermann so’n großer Mopperer sein soll, ist mir noch nie aufgefallen. Ich meine, er geht vor allem dann den Schiri an, wenn ein Mitspieler meckert. Westermann zieht ihn dann zurück und baut sich vor dem Schiri auf – mit der Kaptiänsbinde nach vorne, sozusagen. Aber ich werde mal drauf achten. Westermanns Leistungen leiden übrigens sehr unter dem Amt. Er war in der letzten Saison deutlich stärker. Aber das nur nebenbei.

  2. Möglicherweise habe ich auch ein wenig übertrieben, was Westermann anbelangt. Es gab halt ein paar Situationen – teilweise, zugegeben, nach seinen eigenen Fouls -, in denen er sich recht vehement (und aus gegnerischer Fansicht zu Unrecht) beschwerte.

  3. moin,
    du müsstest dir allerdings noch irgendwie ne übersetzung aus den fingern saugen – outcoached hört sich für mich stark nach vercoached an – und das ist wohl das genaue gegenteil von dem, was du meinst.

    gruß, jo

  4. Eine griffige Übersetzung, ja das wär’s. Mir fallen aber nur komplizierte Umschreibungen ein.

    Im Deutschen gibt’s ja nicht mal ein Wort für das “Coachen” während des Spiels, wie sollte man dann jemanden “auscoachen”?

    Dennoch: der VfB wurde weniger von Schalke ausgespielt als vielmehr von Magath ausgecoacht.

    Aber vielleicht hat da jemand eine bessere Idee (unabhängig von der Frage, ob diese Aussage inhaltlich Zustimmung findet).

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