Phantomtor, klar. Thomas Helmer und so, kennt jeder. Aber wer weiß schon, dass auch Michael Preetz dereinst ein solches geschossen haben muss? Genauer: am 28. August 1991 im Homburger Waldstadion, in der damaligen 2. Bundesliga Süd.
Doch der Reihe nach: wenn man sich für die Zweitligatorschützenkönige vergangener Spielzeiten interessiert – ein gängiges Hobby, wie wir alle wissen – und verschiedene Statistiken dazu schmökert, stößt man irgendwann auf die Information, dass Michael Preetz in der Saison 1991/92 insgesagt 16 Tore erzielte. Jene Saison wurde, infolge der Eingliederung von 6 Mannschaften aus der DDR-Oberliga, nach einem etwas ungewöhnlichen Modus gespielt, aus dem im Norden Bayer Uerdingen und im Süden der 1. FC Saarbrücken als Aufsteiger hervorgingen, letztere nicht zuletzt dank der 17 Tore von Michael Preetz. 17? 17! Sagt Wikipedia, sagen die Experten von der Rec.Sport.Soccer Statistics Foundation und sagt auch weltfussball.de – wo man gar noch zwischen den Torjägern der normalen Runde und der Aufstiegsrunde unterscheidet.
Sowas kann man ja nicht einfach so stehen lassen. Bundesliga.de ist wenig hilfreich und versagt bei der entsprechenden Saison, also macht man sich halt auf die Suche nach dem einen Tor, das die einen gezählt haben, die anderen nicht. Relativ rasch lässt sich herausfinden, dass weltfussball.de am 28. August 1991 in Homburg einen Treffer von Preetz gesehen haben will, wohingegen fussballdaten.de ihn nicht zu den Torschützen zählt. Sieht man genauer hin, stellt man fest, dass es sich um einen Elfmeter handelte, den gemäß Fußballdaten Jonathan Akpoborie in der 71. Minute verwandelt hat. Dann wird wohl bei den anderen Preetz als Elfmeterschütze angegeben sein, kann ja mal passieren, auch wenn sich Preetz und Akpoborie gar nicht so sehr ähneln. Die Probe aufs Exempel: tatsächlich, bei den Weltfußballern traf Preetz zum Ausgleich, und zwar, äh, in der 49. Minute und ohne Elfmeter.
Und jetzt? Könnte man sich natürlich auf den Standpunkt stellen, dass es letztlich für die Torschützenkönigsfrage egal ist – Preetz war vorne, sei es mit 16 Treffern, sei es mit deren 17. Aber es lässt einen ja auch nicht unbedingt wieder los. Also fragt man die Fans. Im Saarbrücker Fanportal ludwigspark.de finden sich natürlich auch Daten zum Spiel. Torschütze? Akpoborie, 71., Foulelfmeter. Warum die recht haben? Weil eine Reihe kundiger Kommentatoren vom Spiel erzählt und keiner an der Spielstatistik etwas auszusetzen hatte. Ungeklärt bleibt bis dato die Frage, was sich in jener 49. Minute ereignet hat. Möchte sich jemand in einem Zeitungsarchiv vergraben?
Wer dann Blut geleckt hat, ist zudem herzlich eingeladen, den weiteren Diskrepanzen zwischen den einzelnen Übersichten auf den Grund zu gehen, angefangen bei Volker Graul 1975 (29 oder 30?), über Horst Hrubesch 1978 (41 oder 42?) und Rekordtorschützenkönig Emanuel Günther 1980 (28 oder 29?) bis hin zu was-weiß-ich-denn-wem.
Wieso ich mich mit so etwas beschäftige? Na, wegen Nils Petersen natürlich! In einer Fußballrunde vertrat kürzlich jemand die Ansicht, dass die Bayern mit dem jungen Mann “eine der besten Investitionen der letzten Jahre” getätigt hätten, die sich bezahlt machen würde. Möglicherweise hat er recht. Ohne allzu intensiv darüber nachzudenken, warf ich die Frage in den Raum, welche Zweitligatorschützenkönige in den vergangenen, sagen wir, 15 Jahren auch in der ersten Liga so richtig erfolgreich gewesen seien. Ich nannte selbst (man will ja seine Fragen auch beantworten) sogleich Mintal und später – wohl wissend, dass damit die 15 Jahre schon überschritten waren – auch Preetz, Völler und Burgsmüller. Andere brachten Labbadia ins Spiel, von dem wir, oder zumindest ich, fälschlicherweise glaubten, dass seine Zweitligaerfolge länger zurücklägen. Thurks Bundesligaresultate schienen überschaubar, keiner dachte an Leute wie Woronin oder Podolski, oder gar an Fritz Walter, den Torschützenkönig von 1996, die bei der anschließenden nächtlichen Statistikrunde am heimischen Rechner (Ausgangspunkt: natürlich der Trainer) sogleich ins Auge fielen.
Wobei die genannten Walter, Labbadia oder Burgsmüller, wie auch einige weitere Spieler, nur schwer mit Jungspunden wie Petersen zu vergleichen sind: sie wurden in fortgeschrittenem Alter Zweitligaschützenkönige und klopften nicht erst an das Tor nach oben an. Labbadia und Burgsmüller kehrten danach noch einmal ins Oberhaus zurück, während Fritz Walter und Lothar Emmerich nach ihren Bundesliga-Torjägerkanonen zum Schluss ihrer Laufbahn noch ein wenig die zweite Liga aufmischten (Walters noch folgende drei Bundesligaspiele lasse ich einmal unter den Tisch fallen). Auch Horst Hrubesch hatte bei seinem Zweitligarekord schon zwei Jahre erste Liga mit insgesamt knapp 40 Toren hinter sich.
Mehr als zwei Drittel der Zweitligatorschützenkönige absolvierten das Jahr darauf ganz oder teilweise in der Bundesliga, sei es nach dem von ihnen maßgeblich miterrungenen Aufstieg, oder eben nach dem häufig offensichtlich unvermeidlichen Wechsel zu einem Bundesligisten. Von jenen, die in der zweiten Liga blieben, konnten insbesondere Karl-Heinz Mödrath mit 26, Artur Wichniarek als erneuter Schützenkönig mit 20 und Radek Drulak mit 19 Treffern ihre Vorjahresergebisse bestätigen, Angelo Vier war zweimal in Folge mit jeweils 18 Treffern die Nummer 1. In der Bundesliga konnte er sich indes nicht durchsetzen, was man in ähnlicher Form wohl auch von Giovanni Federico, Francisco Copado oder VfB-Legende Leo Bunk sagen kann.
Die beeindruckendsten Bilanzen im Oberhaus können das Phantom Marek Mintal und Rudi Völler vorweisen, die sich mit 24 bzw. 23 Treffern sogleich zum Bundesligatorschützenkönig kürten, auch Phantomtorschütze Michael Preetz ist das später noch gelungen, und natürlich muss man Manfred Burgsmüller nennen, der 1985/86 zunächst in 15 Spielen für RW Oberhausen 7 Zweitligatreffer und anschließend für Werder Bremen 13 Treffer in 20 Bundesligaspielen erzielte. Mit 36. In den letzten Jahren beeindruckten noch Novakovic’ 16 (auch er gewiss kein heuriger Hase) und Podolskis 12 Bundesligatore, die auch Wichniarek 2000 erreicht hatte.
Dieter Schatzschneider, Rekordtorschütze der zweiten Liga, reichte oben nicht annähernd an seine Quote heran, ähnliches gilt für Sven Demandt. Cedrick Makiadi war in der Tat einmal Zweitliga-Schützenkönig, gilt in der Bundesliga aber gewiss nicht als Torjäger, und die 35 Zweitligatore in der Saison 1979/80 von Christian Sackewitz, den ich in erster Linie als mäßig torgefährlichen Spieler für Bielefeld und Uerdingen in Erinnerung hatte, haben mich komplett überrascht.
Und dann muss man bei der trockenen Statistiksichtung schlucken, wenn man über Mucki Banach und den schwerkranken Michael Tönnies stolpert.
sehr schöner artikel. da wird einem wieder mal klar, was man alles vergisst bzw. nicht mitkriegt, wenn man die 2. liga nur verfolgt, indem man alle vier wochen kuckt, ob der ksc endlich abgestiegen ist. hat fritz walter 1996 nach dem letzten spieltag eigentlich auch “wo isch mei kanon’?” gesagt? aber die vfb legende hieß natürlich nicht leo buck, sondern andreas bunk. nicht zu verwechseln mit rechtsverteidiger patrick fuck.
Arrgh. Und ich hab beim Schreiben noch an die Verwechslungsgefahr mit besagtem Andi Bunk gedacht. Funkedifunk!
Danke, ist korrigiert.
Schönes Hobby haben Sie da, Herr Kamke. Da kann ich mit meinem derzeitigen unterklassigen Hobby (sammle Spielberichte der TSF Ditzingen aus den 90ern) leider nicht mithalten.
Das faszinierende bei Angelo Vier finde ich die Vereine bei denen er Torschützenkönig wurde: Rot-Weiss Essen und FC Gütersloh.
Ach, Herr Kelsch, nun stellen Sie Ihr Licht doch nicht so unter den Scheffel. Ihr Hobby ist zweifellos sehr apart.
@Mahqz:
RWE stieg ab, aber Gütersloh beendete die Torschützenkönigssaison als Fünfter – was ist also daran ungewöhnlich? 😉
Ahh das war die starke Saison von Gütersloh mit Ansgar Brinkmann, da dann. 😉 Dann ist nicht ungewöhnlich. Ich dachte es wären zwei Absteiger gewesen.