Die Rückkehr des Zehn-Millionen-Euro-Mannes

Zu den in negativer Hinsicht bemerkenswerteren Entscheidungen des Bundestrainers Berti Vogts, die mir bis heute im Gedächtnis haften geblieben sind, zählte die Einwechslung von Andreas Brehme in der 83. Minute des WM-Viertelfinals 1994. Bulgarien war, wem sage ich das, gerade mit 2:1 in Führung gegangen, das Spiel dauerte keine zehn Minuten mehr, und Vogts brachte den verdienten Linksverteidiger, nach Angaben des DFB sogar gegen Brehmes explizite Empfehlung, doch lieber einen Stürmer einzuwechseln, für den ähnlich verdienten Offensivkünstler Thomas Häßler, dem das kurz zuvor verlorene Kopfballduell zu schaffen machte.

Vielleicht sollte ich ergänzen, dass meine Einschätzung bemerkenswerter Entscheidungen von Herrn Vogts nicht allzu aussagekräftig ist, um es vorsichtig auszudrücken. Schließlich scheint nicht nur die aus meiner Sicht völlig unverständliche Auswechslung von Mehmet Scholl im EM-Finale 1996 historisch völlig anders bewertet zu werden; vielmehr war wohl auch die von mir damals als sachgerecht empfundene Begnadigung und Reaktivierung von Lothar Matthäus vor der WM 98 nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss.

Wie dem auch immer sei: an jene Brehme-Einwechslung fühlte ich mich am Freitag im Neckarstadion erinnert, als auch Bruno Labbadia seinen rechten offensiven Mittelfeldspieler aus dem Spiel nahm und durch einen auf den ersten Blick etwas unpassenden Linksfuß ersetzte, dessen robbenartig verdrehte Tempoläufe inklusive entsprechender Abschlüsse dem Schreiber dieser Zeilen bis dato entgangen sein müssen. Vielleicht war es auch ganz anders. Schließlich hatte sich auch Brehme damals dann doch links einsortiert, und tatsächlich rückte Schieber zumindest so weit nach innen, dass man ihn auch als Halbstürmer interpretieren konnte – um Boulahrouz die rechte Bahn zu dessen freier Entfaltung zu überlassen. Und man fragt sich, welcher der beiden wunderbaren Ideen der Trainer tatsächlich verfallen war. Wobei “verfallen” möglicherweise zu sehr nach Schicksal und Langfristigkeit klingt, wenn man bedenkt, dass sich Bruno Labbadia nach 14 Minuten dann doch entschied, Schieber wieder nach links zu schicken.

8 Minuten vor Schluss kam also Timo Gebhart. Dies finde ich insofern nicht ganz uninteressant, als Labbadia in der Nachbetrachtung des Spiels vermutlich ganz treffend analysierte: “Uns fehlen die Einzelspieler, die über Eins-eins-Situationen solche Problemlagen auflösen können.” Ich rate mal völlig ins Blaue und könnte mir vorstellen, dass von 10 Anhängern des VfB Stuttgart 2 gar keinen Spieler benennen könnten, dem man ein Offensivdribbling auf engem Raum zutraut, je ein Unverzagter würde Cacau, Hajnal und wahrscheinlich sogar Harnik nennen, einer dieser unverbesserlichen Nachwuchsverfechter Kevin Stöger ins Feld führen, und der Rest dächte an Timo Gebhart. Wahrscheinlich mit Einschränkungen, die in Richtung “Potenzial nicht gezeigt”, “zu oft verletzt”, “Problem sind nicht die Füße, sondern der Kopf” gingen, aber eben doch: Timo Gebhart.

Bruno Labbadia ist dann halt der elfte Befragte. Er setzte auf Julian Schieber. Diesmal. Und wir erinnern uns, wie er in den ganz engen, manche würden sagen: bereits verlorenen Spielen auf Raphael Holzhauser setzte, um ihn dann, wenn man mal etwas fürs Selbstvertrauen hätte tun können, auf der Bank sitzen zu lassen. Schließlich brauchen auch die Cacaus und Gentners dieser Welt Selbstvertrauen. Und die Jungen sind noch so jung, die können ruhig erst noch einmal in die dritte Liga zurückkehren – 10-Millionen-Mann Holzhauser war leider bei den Amateuren unabkömmlich. Dabei erfahren wir doch gerade in diesen Tagen in den Stuttgarter Nachrichten die wahren Baupläne des Stuttgarter Wegs: “Architekt Labbadia baut auf das Potenzial von Eigengewächsen wie Patrick Bauer und Antonio Rüdiger (beide Innenverteidiger), Steffen Lang (Rechtsverteidiger), Christoph Hemlein (Sturm), Kevin Stöger und Raphael Holzhauser (beide Mittelfeld), …”

Ja, ich bin ein wenig angefressen. Dabei kam es ja nicht ganz unerwartet, dass man gegen Kaiserslautern nicht gewinnen konnte. Der Gast stand tatsächlich sehr tief und sehr massiert, und wir wissen alle, dass der VfB nicht* in der Lage ist, gegen so eine Abwehr überzeugend anzuspielen. Mit etwas Glück hätte man früh in Führung gehen können, dann wäre alles leichter geworden. Oder man hätte eine der zwar nicht übertrieben häufigen, aber doch mehrfach zu verzeichnenden Schusschancen nutzen können, die zu entschärfen es keines Torwarts vom Schlage Tobias Sippels bedurft hätte. Die klassische Bahnschranke hätte gereicht. Aber auch das passiert, vermutlich erst recht einem übermotivierten Angreifer wie Cacau. Was mich wirklich ärgert, ist – neben der Rückversetzung Holzhausers – zum einen die bereits angesprochene Reaktion des Trainers während des Spiels (Hihi, wir schmeißen einfach nach und nach die Stürmer rein), zum anderen die im Nachgang vermittelte Selbstwahrnehmung beim VfB, die in der Überschrift des vereinseigenen Spielberichts wunderbar zum Ausdruck kam:

Remis trotz Dominanz

Wenn ich mich an dieser Stelle einmal kurz selbst zitieren dürfte (die eine oder andere Anpassung möge der geneigte Leser gedanklich selbst vornehmen):

“[…] Dennoch: nach meinem Verständnis hatte das, was wir am Samstag vom VfB gesehen haben, mit Dominanz nicht viel zu tun.

Sicher, man hatte “mehr vom Spiel”. Mehr Ballbesitz, mehr Spielanteile, mit hoher Wahrscheinlichkeit auch mehr Ballbesitz in der gegnerischen Hälfte. Und die VfB-Hintermannschaft, allen voran Serdar Tasci, hat die Berliner Offensive in der Tat weitestgehend dominiert. Aber sonst? Gelungene Spielzüge, die bis zum Ende ausgespielt wurden und an deren Ende die Zuschauerin vom Sessel aufsprang, weil der VfB-Angreifer den Ball nur hauchdünn am Pfosten vorbei geschoben oder weil der Hüter brillant pariert hätte? Rasches Kombinationsspiel, das ein ums andere Mal Lücken in die Hertha-Abwehr gerissen hätte, in die Stuttgarter Angreifer entschlossen hinein gestoßen wären? Oder gar die viel zitierten Überraschungsmomente? Ganz ehrlich: daran kann ich mich nicht erinnern. […]”

Ich halte Holzhauser ja für einen Dominanzspieler.
Allein schon von der Körpersprache her.
Wird wohl an den bionischen Körperteilen liegen.

_________

* Die aufmerksame Leserin wird bemerkt haben, dass in derlei Sätzen, unmittelbar vor dem “nicht”, in aller Regel das Wörtchen “noch” eingebaut wird. Dummerweise fehlt mir da ein wenig der Glaube.

0 Gedanken zu „Die Rückkehr des Zehn-Millionen-Euro-Mannes

  1. Über den Holzhauser haben wir schon oft gesprochen, dazu möchte ich nix mehr sagen. Aber dass Cacau für Hajnal kommt und nicht Timo G., das ärgert mich doch jetzt wirklich! Und Schieber für Harnik ist genauso Quatsch… Wenn er Schieber oder Cacau bringen will, dann muss er eben auf 4-4-2 umstellen, gegen diesen FCK hätte Kvist auch gereicht.

  2. Zu Holzhauser: Klar, das hatten wir schon öfter. Wobei ich die aktuelle Situation mit anscheinend vorliegendem Interesse aus der Bundesliga und der in diesem Zusammenhang getroffenen Aussage zum Gegenwert von Champions-League-Einnahmen schon noch einmal bemerkenswert finde (und die kurz darauf erfolgte Rückversetzung zu den Amateuren).

    Wenn man davon abrücken und ihn in absehbarer Zeit abgeben würde, hätte ich ein ernsthaftes Probem, den Verein und das Gerede vom Stuttgarter Weg überhaupt noch ansatzweise ernst nehmen zu können.

  3. Ist schon so ne Sache: Ich gehe mal davon aus, dass Kuz am Ende der Saison nach Italien abgegeben wird und man dann mit Kvist, Holzhauser und Gentner weiter plant für das defensive bzw zentrale Mittelfeld. Das wäre für mich völlig in Ordnung und sollte auch für Holzi eine Perspektive sein. Macht man das nicht bzw. gibt man Kuz ab und holt einen neuen, dann gebe ich Dir Recht, dann könnte man das Gerede vom Stuttgarter Weg in die Tonne treten.

    Zur Gegenwart: Das Holzhauser wieder in die 2. Mannschaft gegangen ist, halte ich eigentlich für sinnvoll, da halt die Plätze auf der Bank limitiert sind. Wenn man sieht, dass ein Gentner am Freitag nicht eingewechselt wurde, dann macht es für die Mannschaft keinen Sinn einen Holzhauser mitzunehmen. Und für ihn schon gar nicht, siehe das Beispiel von Patrick Bauer. Und Holzhauser hat sich ja glänzend präsentiert mit einem Traumtor a la Ronald gg. Preußen Münster. Oder war das doch nur ein Torwartfehler nach einem harmlosen Schuss…

  4. Papperlapapp, Torwartfehler, völlig undenkbar!

    Bei der Perspektive sind wir uns einig, bei der Gegenwart so halb. Ich hab meinem Stadionnachbarn, der sich darüber beschwerte, dass Holzhauser nicht dabei war, auch entgegnet, dass andernfalls vermutlich Gebhart auf der Tribüne gesessen hätte. Das wollte er dann auch nicht. Insofern: ja, die Plätze sind begrenzt, und ja, er soll spielen. Aber wenn sich das für den Rest der Saison auf die dritte Liga beschränken sollte, fände ich es dennoch nicht gut.

  5. Solange man Kuz ins Schaufenster stellen möchte, kann ich mir nicht vorstellen, dass er so schnell wieder dabei ist. Audel soll ja auch bald mal wieder fit sein genauso wie Traore. Und schon sind die Plätze weg. Er soll jetzt mal richtig bei den Amas Gas geben und sich so empfehlen. Das geht nämlich auch….

  6. Dass das geht, steht ja außer Frage. Gab da mal einen Torwart, der von den Amas in die Chamions League gewechselt sein soll.

    Ich fänd’s allerdings, sehr vorsichtig ausgedrückt, schade, wenn man auch oben ein ganz anständiges Empfehlungsschreiben abgegeben hat und dann tatsächlich aus betriebswirtschftlichen Gründen ins zweite Glied zurück müsste.

  7. Guck, der Gerd kündigt ihn an, den Umbruch im Sommer! Dann bin ich ja mal gespannt…

    Naja, wenn man das große Ganze betrachtet, dann find ich das in Ordnung. Ausser er hätte sich so mega mäßig aufgedrängt (wo auch immer, Training, 2te oder 1te Mannschaft). Hat er aber nicht… zumindestens habe ich das dann wohl verpasst.

  8. In der Tat hatte ich einen kurzen Moment gebraucht, um den Perspektivwechsel im ersten Kommentar zu erkennen. Schließlich hatte sich der besagte Gerd durchaus aufgedrängt … 😉

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