Dysfunktional

Komischer Kerl, der Kamke.

Auf der einen Seite betrachtet er die Entwicklung des Fußballs völlig nüchtern. Wundert sich über den Kampf “gegen den modernen Fußball”, und das nicht nur, weil er froh ist, keinen Libero mehr zu sehen, sondern unter anderem auch deshalb, weil er nicht mehr auf unüberdachten Tribünen in 60er-Jahre-Stadien stehen will und betriebswirtschaftliche Themen nicht per se als das Böse betrachtet. Macht kein Hehl daraus, dass er das “Projekt Hoffenheim” vor Jahren als spannenden Feldversuch betrachtete und noch heute interessiert verfolgt.

Hat keine Berührungsängste mit einem deutschen Meister VfL Wolfsburg und ziemlich wenig Verständnis für die noch immer hoffähigen Hinweise auf den bösen Leverkusener “Plastikclub”, der seit 1979 ununterbrochen in der Bundesliga ist (was nur vier andere Vereine von sich behaupten können). Und heißt dereinst RasenBallsport Leipzig in der Bundesliga willkommen, so sie sich denn sportlich qualifizieren.

Und auf der anderen Seite ist er ein Sozialromantiker. Den ein ungutes Gefühl beschleicht, wenn er, wie seit geraumer Zeit üblich, liest oder hört, dass ein Spieler “funktioniere”, oder eben nicht.

Dass es im aktuellen Fall gerade – zufällig, möchte er sagen – Klaus Allofs ist, der sich bei den 11 Freunden gleich doppelt (das erste Mal durch die Fragestellung dahin gedrängt, das zweite Mal aus freien Stücken) so zitieren lässt, dürfte er – angesichts seiner Wertschätzung für den besonnen wirkenden Bremer Vorstand – nebenbei ein wenig bedauern; der Irritation tut das keinen Abbruch, vielleicht im Gegenteil.

“Ich bin mir zum Beispiel sicher, dass ein Wesley oder Marko Marin vor fünf Jahren beim SV Werder Bremen, unter anderen Vorzeichen, richtig gut funktioniert hätten.”

Zwei kleine Rädchen im Getriebe der Bremer Angriffsmaschinerie, sozusagen. Abnutzungsteile, womöglich, die man jederzeit austauschen kann. Oder anders gesagt: eine treffende Zustandsbeschreibung des Profifußballs? Vielleicht.

Dennoch: dem Kamke, also mir, gefällt sie nicht, die Reduktion des Fußballspielers auf seinen Anteil am Produktionsprozess. Klingt so entmenscht, irgendwie.

(Wäre ich firm in Sachen Kapitalismuskritik oder in dem, was gerne einmal pejorativ als Klassenkampfrhetorik bezeichnet wird, könnte ich mein Unbehagen vermutlich besser ausdrücken.)

Kapitalismuskritik am Beispiel von Fußballprofis. Hat was. Veröffentlicht, wie ich grade mitbekomme, am Tag, an dem besagter Klaus Allofs zunehmend ernsthaft nachgesagt wird, im Winter zu besagtem VfL Wolfsburg zu wechseln.

Ich habe mich wohl ein bisschen verlaufen. Was ich sagen will (falls man es nicht erahnen kann):
Gefällt mir nicht, wenn Menschen “funktionieren” sollen.

0 Gedanken zu „Dysfunktional

  1. Naja.
    Das Spieler “funktionieren” sollen, finde ich per se nicht mehr verwerflich. In diesen modernen Zeiten, wo wir Menschen uns in allen Lebenslagen immer und immer mehr im Konkurrenzkampf mit Maschinen befinden.
    Wir kämpfen doch heute schon um die Aufmerksamkeit unserer Kinder, die diese Maschinen nutzen und dabei leider oft Glauben, ein Chat wäre die normale Form der Kommunikation.
    Ich finde es nur dann schade, wenn man Menschen nur aufs funktionieren reduziert. Denn dann sind sie nur noch Maschinen. Ohne Seele und ohne Herz.
    Und gerade beides braucht auch ein Fußballspiel, um im Lebensbereich eines Klaus Allofs zu bleiben. Auch und gerade in der heutigen Zeit.
    Alleine schon, um sich von dem Einheitsbrei abzusetzen.
    Und um genau das nicht zu sein. Maschinen.
    Andererseits versucht der moderne Fußball, also der ohne Libero, immer Mechanismen zu trainieren. Abläufe zu automatisieren. Und wenn das gewollt ist, muss man halt funktionieren.
    Individualisten haben es da schon immer schwerer gehabt. Andererseits sind diese aber der Hauptgrund für mich und viele Millionen Menschen ihnen beim Spielen (und nicht funktionieren) zuzuschauen. Ich meine damit die Fritz Walters, Peles, Beckenbauers, Platinis, Maradonas, Schusters, Messis und Co.
    Das sind Namen, die man nie vergisst. Die der “Maschinen” hingegen zu oft. Wer kann sich noch an Haki Wimmer erinnern?
    Netzer kennen alle. Selbst die, die damals noch nicht mal gelebt haben, als der den Ball wunderbar durch die Gegend trat.
    Übrigens war auch klaus Allofs überraschenderweise ja nie einer dieser Maschinentypen, sondern immer für etwas besonderes gut.
    Und daher finde ich seine Aussage auch mehr als fraglich.
    Schweife ich gerade ab?
    Wirklich?…
    Sorry

  2. Junge, was hast du gegen den Libero? Denk nur mal an Franz, Franco, Frank, Lothar, Manni oder … Traianos Dellas! Sorry, aber wer den Libero verschmäht, der kann kein Romantiker sein. Aber ansonsten hast du Recht. Wie so oft. 😉

  3. Funktionieren empfinde ich in diesen Zitaten nicht als entmenscht. Ich ersetze das durch “hat nicht gepasst” und finde nur, das sowas durchaus passieren kann.Haben ja vielleicht schon einige selber gemerkt, dass sie mit einigen Spielern gut können, mit anderen nicht so.

  4. @Andreas:
    Danke.

    @xxlhonk:
    Ich tue mich in diesem Kontext ein bisschen schwer mit der Unterscheidung in besondere Spieler auf der einen und maschinenähnliche auf der anderen Seite. Ich weiß, dass ich Deine Argumentation verkürze; dennoch: ich lese sie so, als brächten die Individualisten, Techniker, Spielmacher besonders beseelt, bzw. “mit Seele und Herz” dabei. Ganz davon abgesehen, dass man den Standpunkt vertreten kann, es seien möglicherweise gerade die weniger Begabten, die besonders viel Herzblut investieren, glaube ich vielmehr, dass dies Unterscheidung in “Maschinen” und “Individualisten” beiden Gruppen nicht gerecht wird, und dass zudem die jeweilige Spielweise keine sprachliche Unterscheidung dahingehend rechtfertigt, ob ich von jemandem erwarten kann, zu “funktionieren”. Meines Erachtens kann ich das, aber das sagte ich schon, eben nicht.

    Womit ich nicht sagen will, dass ich keine Leistung erwarten darf, ganz im Gegenteil. Ich finde nur, dass “funktionieren” einem Menschen nicht gerecht wird, empfinde es als würde- und seelenlos. Und bin, anders als Du, durchaus der Meinung, dass ich den Spieler mit dieser Wortwahl auf besagtes Funktionieren reduziere.

    Dabei ist unstrittig, dass es sich hier um ein sehr subjektives Empfinden handelt. Jeder rezipiert Sprache anders, hat andere Assoziationen. Für mich ist und bleibt “funktionieren” mit Blick auf Menschen negativ besetzt, andere sehen das aus nachvollziehbaren Überlegungen heraus anders.

    @TheBigEasy:
    Ok, gegen das Romantikargument komme ich auf keinen Fall an. Und wenn es nur deshalb ist, weil ich oft genug selbst Libero gespielt habe.
    (Welchen Frank meinst Du? Lebœuf?)

    @blavont:
    Dass es oder er einfach nicht passen kann, empfinde ich genauso. Und ich gehe auch davon aus, dass es so gemeint ist. Dennoch stört es mich, die Wortwahl empfinde ich als herabwürdigend, aber das hatten wir ja schon.

    Dennoch zwei kurze Gedanken noch:
    Zum einen finde ich, dass “er hat nicht funktioniert” im Gegensatz zu “er hat nicht gepasst” oder gar “es hat nicht gepasst” keinen Zweifel daran lässt, wer daran die Schuld trägt. Insofern ist die Aussage schon eine andere. (Dabei ist mir bewusst, dass eine Aussage wie “er hat nicht die erwartete Leistung erbracht” auch keinen Zweifel lässt, ich daran aber nichts auszusetzen hätte.)

    Zum anderen vermute ich, und es ist wirklich nicht mehr als eine bloße Vermutung, dass sich ein Unternehmer oder eine Unternehmerin, der oder die MitarbeiterInnen mit der Begründung entließe, sie hätten “nicht funktioniert”, einer gewissen öffentlichen Empörung ausgesetzt sähe. Auch hier ist mir klar, dass der Vergleich nicht zuletzt deshalb hinkt, weil ein “freigesetzter” Fußballprofi im Normalfall wesentlich weicher fällt. Nimmt man indes einen wegen Nichtfunktionierens entlassenen Minister oder Regierungssprecher, liegen die Fälle meines Erachtens nicht mehr so weit auseinander.

    Aber klar: hypothetisch, subjektiv, diskutabel.

    1. Du, ich meine DU fragst mich tatsächlich danach, welchen Frank ich meine? Den Frank, den ich nur wegen Dir in diese Auflistung mit aufgenommen habe, weil er mit Deinem Club 1997 den DFB-Pokal gewonnen hat? War er nicht sogar mal euer Kapitän? Mehr muss ich dazu nicht sagen, oder?

    2. Aber Allofs scheint doch gerade zu sagen, dass nicht der Spieler alleine Schuld ist, sondern dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Einzelnem Spieler und mannschaftlichem Umfeld

  5. Viel unangenehmer finde ich ja den immer wieder gerne verwendeten Begriff “Spielermaterial”. Als wäre ein Spieler etwas, was man bei Bedarf im Baumarkt kauft (wahrscheinlich nicht mal so weit von der Profifußballrealität entfernt)

  6. @Fese:
    Interessanter Hinweis. Hatte ich noch nie drüber nachgedacht.

    @TheBigEasy:
    Auf den wäre ich im Leben nie gekommen. Spielte aus meiner Sicht dann doch in einer anderen Liga als die um ihn herum genannten.
    Oder, wie es die junge Generation ausdrücken würde:
    Beckenbauer, Baresi, Verlaat, Matthäus. Finde den Fehler!

    @blavont:
    Ja, genau so lese ich seine Intention auch. Und ärgere mich nicht zuletzt vor diesem Hintergrund, dass er einen Begriff verwendet, der das nach meinem Empfinden konterkariert. Und das bei ihm, den ich wirklich schätze.

    Ich sollte vielleicht sagen, dass ich das Thema schon eine Weile mit mir herumtrage. In schöner Regelmäßigkeit störe ich mich an dieser Formulierung; dass nun gerade das Allofs-Interview der Auslöser war, in dem tatsächlich nur wenig auf eine, stark zugespitzt dargestellt, menschenverachtende Haltung hinweist, war zum einen Zufall, zum anderen möglicherweise kein Umstand, der meine Kritik untermauert. (Oder aber man steht auf dem Standpunkt, den ich eben andeutete: dass die Wortwahl in diesem Kontext umso unverständlicher wirkt.)

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