Wie schon in der Vorwoche gegen Wolfsburg hat der VfB gestern in Freiburg ab Mitte der zweiten Halbzeit um den Ausgleich gebettelt. Wie in der Vorwoche sahen sich einige Zuschauer (in diesem Fall in einer alteingesessenen Stuttgarter Kneipe mit ebensolchem Publikum) gelegentlich – um der Wahrheit die Ehre zu geben: deutlich öfter als in der Vorwoche – in Linksverteidiger Molinaro getäuscht und wähnten Ludovic Magnin auf dem Platz. Wie in der Vorwoche hat man es bei zahlreichen Gelegenheiten versäumt, den allgegenwärtigen Sack zuzumachen. Wie in der Vorwoche verdienten sich die Stürmer dennoch – beileibe nicht nur ihres Engagements wegen – Bestnoten. Vor allem aber: wie in der Vorwoche gegen Wolfsburg hat man zwar um den Ausgleich gebettelt; letztlich blieb die Bettelei aber ungehört, hat man den Gegentreffer eben nicht hinnehmen müssen. Weil Tasci und Niedermeier in der Mitte sehr abgeklärt agierten und Ruhe ausstrahlten, weil Freiburg nicht torgefährlich genug war, weil der Linienrichter aufpasste, und weil man in den entscheidenen Situationen einfach auch mal Glück hatte.
Was den Eindruck aus der Vorwoche stützt, dass sich die Mannschaft in einer Konsolidierungs- und Übergangsphase befindet. Einerseits werden Strukturen auch für den Zuschauer sichtbar, scheint so mancher Spieler endlich (wieder) verinnerlicht zu haben, was er zu tun hat, ist phasenweise auch ein gewisses Maß an Selbstvertrauen spürbar, das Vielen in der späten Ära Babbel gänzlich abging. Andererseits ist offenkundig, dass es sich beim grossschen VfB noch um ein sehr fragiles Gebilde handelt. Dies wird immer dann unmittelbar deutlich, wenn der Gegner sich anschickt, ein wenig dagegen zu pusten. Dann erzittert rasch die gesamte Struktur, das Selbstvertrauen ist wie weggeblasen, und man fragt sich, wer in der Lage ist, die Ordnung wieder herzustellen.
Die naheliegende Antwort lautet natürlich Sami Khedira, der allerdings am Freitag nicht so überragend spielte wie in den Wochen zuvor, was er mit seinem Partner Christian Träsch gemein hatte. Daher hatte ich mir auch eine frühere Einwechslung von Zdravko Kuzmanovic gewünscht – vielleicht war es gut, dass Gross nicht auf mich hörte, denn der Edeljoker auf der Sechs machte wie in der Vorwoche das, was man von ihm eigentlich nicht kennt: leichte Fehler (manchmal beneide ich die Tennisleute um den Terminus “unforced error”).
Letztlich war es ein Pflichtsieg, nicht mehr und nicht weniger, und vielleicht kann der VfB tatsächlich, wie beim Brustring bereits errechnet, in ein paar Wochen zu einer Mischung aus Schaulaufen und Saisonvorbereitung 2010/11 ansetzen. Um dann am letzten Spieltag… (zensiert).
Wie sehr ich mir doch eine solch realistische Einschätzung oft von der Bewegtbildpresse wünschen würde. Da (in diesem Fall Liga Total) wurden nach dem Spiel bereits wieder Phrasen wie “alles richtig gemacht” in den Mund genommen und davon gesprochen wie sich eine Mannschaft die unter Babbel doch noch bodenlos schlecht gespielt hat (was sie IMHO nicht hat) so schnell um 180 Grad wenden konnte (was sie IMHO ebensowenig hat).
Offenbar gibt es nur noch Phrasendrescher und schwarz/weiss-Reflexe in den (alten, großen, bewegten) Medien – gut, dass es noch Blogs gibt.
@Helmi: Danke. Und, mein eigenes völlig außer Acht lassend, stimme ich natürlich uneingeschränkt zu: gut, dass es Blogs gibt.
Als recht positiv empfinde ich im Moment auch die Stuttgarter Printmedien, die die Lage, wie soll ich sagen, zumeist angenehm bodenständig analysieren.
Ich hoffe ja, dass das Gebilde im Laufe der nächsten Wochen noch etwas stabiler wird mit der Serie von 6 ungeschlagen Pflichtspielen.
Auf jeden Fall macht mir das zentrale Defensivpaket mit Tasci, Niedermeier/Delpierre, Khedira und Träsch/Kuzmanovic da schon auch Hoffnung.
Und was mich auch sehr positiv stimmt, ist das Erkennen, der von Dir auch angesprochenen Strukturen. Ich meine da auch ein wenig Gross’ Handschrift zu erkennen, dass sehr aggressives Pressing gespielt wird auf der einen Seite und ein schnelles Direktpassspiel mit vielen Kurzpässen und großer Laufbereitschaft in der Offensive auf der anderen Seite.
Dass das noch nicht über 90 Minuten gelingt mag angesicht dieser durchaus kraftraubenden Spielweise vielleicht auch mit der Kondition zusammenhängen, die vielleicht in näherer Zukunft dann auch noch besser wird.
Ich bin auf jeden Fall mal gespannt, wie sich die Startaufstellung in den nächsten Wochen entwickelt. Besonders, ob es Kuzmanovic kurzfristig wieder in die Startelf schafft und auch ob Gross eher an “Never change a winning team” glaubt oder eher an die Wichtigkeit von Delpierre.
@hirngabel:
Die Innenverteidigerfrage erscheint mir auch sehr spannend, insbesondere dann, wenn sich Niedermeiers Verpflichtung bewahrheiten sollte. Bisher hat sich Gross ja an die Sache mit dem winning team gehalten, aber ob er schon wieder eine Kapitänsdiskussion eröffnen möchte?
Auch würde mich interessieren, ob Gross Träsch überhaupt als Alternative für rechts hinten sieht (um Kuzmanovic in der Mitte bringen zu können). Ich selbst neige mittlerweile ja zu der Ansicht, dass Träsch rechts bei weitem nicht das Niveau hat wie auf der 6.
Ansonsten teile ich Deine Hoffnungen 🙂
Das mit der Kapitänsfrage in diesem Zusammenhang ist natürlich genau der Knackpunkt. Eigentlich kann Gross dieses Fass ja nicht schon wieder aufmachen – andererseits wird natürlich niemand was dagegen sagen können, solange man gewinnt. Spannend allemal für uns “Beobachter”.
Die Frage lautet ja weniger “Ist Träsch auf der 6 stärker als auf der RV-Position?”, sondern vielmehr gilt es ja eigentlich zu beurteilen ob die Kombination Celozzi/Träsch im Paket besser ist als Träsch auf RV und Kuzi im DM… Und um das beurteilen zu können, würde ich das ja gerne mal ausprobiert sehen.
Und mal ganz davon ab: Tut es Dir nicht auch so unglaublich gut, dass wir mal wieder über solche Fragen diskutieren können und nicht über das GROßE GANZE und sonstige elementaren Dinge? =)
Wärest Du hier, sähest Du mein breites Grinsen.
(und ja, mich würd’s auch interessieren, wie’s mit Träsch hinten rechts und Kuzmanovic in der Mitte klappt)