Das neue Schwarz? Wird bald bunt!

Vermutlich bin ich nicht der einzige, dem gelegentlich ein Gedanke, vielleicht auch ein ganzer Blogtext, im Kopf herumschwirrt, den er irgendwie nicht so recht zu fassen bekommt, der sich einfach nur einnistet und darauf wartet, verarbeitet zu werden, ohne dass man selbst zunächst weiß, wohin die Reise geht. Von Zeit zu Zeit komme ich dann zu dem Schluss, dass sich zu viele frei schwebende Texte in meinem Kopf herumtreiben und ich den einen oder anderen loswerden muss – sei es, indem ich versuche, ihn nach und nach zu vergessen, sei es, indem ich ihn frei schwebend in die Tastatur fließen lasse. So wie die nachfolgenden Gedanken über die taktische Fußball-Blogwelt.

Ja, Taktik ist das neue Schwarz. Finde ich gut, grundsätzlich, sowohl im Fernsehen als auch im Print als auch, und darum soll es hier in erster Linie gehen, in Blogs. Wir alle (Wenn sich jemand nicht vereinnahmt sehen möchte, möge er Bescheid geben. Oder sie.) erfreuen uns seit geraumer Zeit an den taktischen Analysen bei Zonal Marking, wir verfolgen die aufwändigen und leider zu seltenen Analysen der Taktiktafel, Kenner wissen schon seit geraumer Zeit die Ausführungen im Werder-Fußball-Blog zu schätzen.

Gerade Zonal Marking dürfte dem einen oder anderen Blogger den Anstoß gegeben haben, sich mit System- und taktischen Fragen nicht nur intensiv zu befassen, sondern seine Eindrücke sowohl verbal als auch grafisch zu Papier zu bringen. Beim Textilvergehen tat man das wörtlich (zu Papier bringen), in verschiedenen anderen Blogs unter technischen und grafischen Gesichtspunkten zunehmend elaboriert, in Nedsblog wurde das Projekt 442 zu einer Art (ernst gemeintem) Running Gag, mit Blick auf die österreichische Nationalmannschaft befasst sich Martin Blumenau stets kritisch und nicht weniger kompetent mit dem, was er nicht als taktisches Konzept anzuerkennen bereit ist, und ebenfalls in Österreich, aber mit internationalem Bezug, hat Ballverliebt.eu in den letzten Monaten den taktischen Fokus enorm verstärkt. Ob das mit dem Erfolg von Zonal Marking zu tun hat, weiß ich nicht. Es ist mir letztlich auch egal. Beim relativ neuen “Taktikguru” ist das etwas anders. Falsch. Auch dort ist mir die Motivation egal. Anders ist indes der explizite Bezug auf Zonal Marking als Referenzpunkt, womit die Latte gleich auf einer ganz anständigen Höhe liegt. Kann man machen, wenn man das nötige Selbstvertrauen hat.

Wenn ich ehrlich bin, war der Gedanke, den ich eigentlich im Kopf zu haben glaubte, ein ganz anderer. Es ging mir nicht darum, einen Marktüberblick zu geben. Den habe ich selbst nicht. Mich beschäftigt vielmehr der Umstand, dass ich mir nie im Leben zutrauen würde, derartige taktische Analysen zu erstellen. Obwohl ich mich für einen nicht gänzlich unbeleckten Laien halte. Letztlich kenne ich, um ein Beispiel zu nennen, die theoretischen Grundlagen zur Funktionsweise einer Viererkette nicht gut genug, um seriös beurteilen zu können, ob der linke Verteidiger zwei Meter zu weit hinten stand (wenn er nicht gerade dadurch eine Abseitsstellung aufhob).

Nicht nur vor diesem Hintergrund frage ich mich gelegentlich – und das ist überhaupt nicht polemisch gemeint – was wohl ausgewiesene Taktikexperten aus der professionellen Fußballszene zu den Analysen der Blogger sagen würden. Würde Urs Siegenthaler einen Beitrag von Zonal Marking als Kindergeburtstag abtun? Oder Jürgen Klopp? Werner Lorant? Marcel Koller? Holger Osieck? Jürgen Klinsmann? Irgendein Fußballlehrer? A-Lizenz-Inhaber?

Ok, ernsthaft: mir ist klar, dass a) José Mourinho eher selten bei Zonal Marking nachlesen dürfte, auch nicht beim Taktikguru, und b) professionelle Analysen mit deutlich mehr Aufwand und auf einer völlig anderen Datenbasis erstellt werden. Kaum zu vergleichen. Mit den Videoanalysen, die wir meinetwegen im ZDF-Sportstudio oder in der Spieltagsanalyse beim DSF (ja, ja) sehen, schon eher. Und da gehen die Meinungen ja deutlich auseinander. Während Jürgen Klopp dereinst bejubelt wurde, fällt das bei Thomas Strunz oder Oliver Kahn durchaus zurückhaltender aus – obwohl sie sich schon ein paar Jahre mit dem Spiel auseinandersetzen.

Ich habe keine Ahnung, wie intensiv sich die Betreiber von Taktikblogs mit fußballtheoretischen Fragen befassen oder befasst haben. Ob sie Trainerlizenzen haben, seit Jahren als Scouts tätig sind, die einschlägige Literatur aus dem Effeff kennen oder eben “nur” gebildete Laien sind. Letztlich ist das zwar irrelevant, wenn die Inhalte gut sind (was ich auf Basis der Analysen und deren Vergleich mit meiner eigenen Wahrnehmung – die wiederum die eines Laien ist, klar – beurteile), und doch muss ich zugeben, dass ich zunächst ein wenig irritiert war, als ich vor einigen Wochen las, der Mann hinter Zonal Marking, Michael Cox, sei zwar schon immer an Taktik interessiert gewesen, hätte aber genauso gut und wohl auch gern über etwas anderes schreiben können, wenn er einen Markt dafür gesehen hätte:

On a less romantic note: because to create a successful blog/site, there has to be a niche, a particular area of interest. It seemed like a bit of a gap in the market.  […] I love tactics, but if ZM already existed, I would have done it about something else; another niche area.

Fair enough. Und doch irgendwie seltsam.

Wie auch immer. Wir haben jetzt also einen Markt für taktische Analysen. Wir sind endlich, und zwar nicht erst seit heute, an dem Punkt, wo Taktik auch ein Thema für vertiefte öffentliche Diskussionen über Fußball ist. Diskussionen, die zwar noch immer recht zahlenfixiert sind (4-5-1 vs. 4-2-3-1 vs 4-4-1-1 etc…), die sich aber auch mit Fehlentwicklungen während des Spiels befassen, falsche Laufwege aufzeigen und bei der Entstehung kritischer, vielleicht gar entscheidender Situationen nicht nur die letzten anderthalb, sondern drei, vier oder fünf Züge betrachten. Oder noch besser, die aufzeigen, was drei Züge später geschehen wäre, wenn nicht…

Mag sein, dass diese Diskussionen auch künftig einen etwas nerdigen Anstrich haben werden. Aber sie werden geführt. In dedizierten Taktikblogs, aber auch in ganz normalen Schlurchblogs. Und wir werden sehen, dass es in unserer Blogwelt gute und nicht ganz so gute Taktikblogs gibt, genau so, wie wir schon heute überragende und mittelprächtige Glossen lesen, die Augen öffnende und eher langweilige Hintergrundanalysen, besondere Spielberichte und Schilderungen von der Stange.

Schön, dass sich die Taktikfüchse rasch vermehren. Der Reiz des per se Außergewöhnlichen wird sich bald verlieren, der Reiz des in Sachen Kompetenz und Umsetzung Außergewöhnlichen wird bleiben.

0 Gedanken zu „Das neue Schwarz? Wird bald bunt!

  1. Puh, gut, daß ich kein Bild mit meinem Gesicht drauf genommen habe 😉

    Ich finde es ebenfalls sehr gut, daß sich mehr Schlurchblogs (was ein genialer Begriff) mit dem Thema beschäftigen. Mich interessiert die Diskussion um Spielsysteme und Aufstellungen.

  2. Nach deinem Beitrag habe ich das Gefühl, dass ich mich ein wenig rechtfertigen muss 😉
    Auch wenn ich meiner Seite den etwas anmaßenden Namen Taktikguru gegeben habe (größtenteils, weil alle anderen schönen URLs bereit belegt waren), würde ich mich selber nicht als “Taktikfreak” bezeichnen. Vor einigen Jahren habe ich mich im Zusammenhang mit meinem Studium der Sportwissenschaften intensiver mit modernen Analysemöglichkeiten für den Fußball auseinandergesetzt. Zuvor hatte ich immer das Gefühl, Taktik sei ein so weites Feld, dass man jahrelang Trainer gewesen sein muss, um Zusammenhänge verstehen zu können. Einige Monate, viele Artikel von Zonal Marking und Jonathan Wilson und zahlreiche Bücher später habe ich gemerkt, dass viele Dinge mit bloßem Auge und auch ohne Trainerschein erkennbar sind.
    Ich glaube, dass richtige Profis mit den Taktikanalysen von ZM oder mir nicht viel anfangen können. Dazu fehlt neben der Expertise auch an technische Möglichkeiten. Die Zielgruppe meiner Analysen sind aber auch gar nicht die Experten, sondern die Fans. Die Kunst einer solchen Seite ist es, schwere Prinzipien simpel herunterzubrechen, ohne dabei in die üblichen Fussballfloskeln zu verfallen. Eine Sache, die mir als Neuling noch wahnsinnig schwer fällt. In gewissen Maße ist so etwas natürlich auch Bekehrungsarbeit, weil man andere Leute dazu bringen will, sich für das eigene Lieblingsthema zu interessieren.
    Noch eine Sache zum Erfolg von ZM: Natürlich sind fast alle Taktikblogs inspiriert von der Seite. Für meinen Teil kann ich sagen, dass es nicht darum geht, auf einen Zug aufzuspringen. Als Bloginhaber weißt du vielleicht selber, dass man mehrere tausende Views benötigt, damit sich die Ausgaben für Webhosting und Ähnliches erst einmal ammortisiert haben. Das sind Zahlen, die man mit solch einem Nischenprodukt in Deutschland überhaupt nicht erreichen kann. Zonal Marking hat ja da den großen Vorteil, dass es international viele Menschen erreicht. Finanziell wäre ich weit besser bedient, wenn ich statt Blogeinträge schreiben kellnern gehen würde. Um so einen Blog zu betreiben, muss man das Thema, das man beackert, wirlich lieben, sonst funktioniert es nicht.
    Ich glaube, dass die Vielzahl der Blogs einfach wiederspiegelt, dass in Deutschland ein wachsendes Interesse an dem Thema da ist, und dass es mittlerweile Fußballliebhaber gibt, denen das Thema extrem wichtig ist.
    So, genug gerechtfertigt, Zeit für ein Lob. Ich finde deinen Beitrag nämlich wirklich, wirklich gut. Daumen Hoch!
    Gruß, T0bstar

  3. Sagen wir es mal so; Michael Cox ist wirklich eloquent und die Messlatte für Fußballsachverstand liegt mangels Vergleich nicht gar so hoch. Eloquenz, Fußballsachverstand und obendrein auch noch Sendungsbewusstsein für eine funktionale Perspektive auf Fußball sind in dieser Kombination auch weiterhin rar gesäht, deswegen fällt jedes weitere Taktikblog immer noch schnell auf.

    Was speziell Cox aber auch uns andere Fans dieser Perspektive auf Fußball übrigens von Trainern unterscheidet: Wir überschätzen den Einfluss von Taktik gerne. Glaubt mal, dass der Heiland Tuchel nicht schlecht in Menschenführung und Trainingssteuerung ist. Der Anteil von guter Taktik am Erfolg ist schwer zu quantifizieren, aber ich bin sicher, dass er nicht annähernd bei 50% liegt und Faktoren gibt es reichlich, die ein Trainer berücksichtigen muss.

    Mir persönlich geht es übrigens weniger um Taktik, als darum, das Spiel als ganzes zu verstehen. Deswegen beschäftige ich mich ab und zu mit Fachliteratur und diskutiere privat mit Leuten, die näher am Profisport dran sind als ich. Aus Liebe zum Spiel. Wenn ich dann irgendwann als Blender enttarnt werde oder andere Beiträge schlicht von tiefer gehender Analysekompetenz zeugen, freue ich mich, dass ich wieder etwas dazu lernen kann.

    Wer übrigens wissen möchte, wie es im Kopf eines Profitrainers aussieht: Die Louis van Gaal Biographie ist ein absoluter Pflichtkauf! Wenn da gegenüber der holländischen Version im Deutschen auch noch nähere Einblicke in die Bundesliga sind (hab die Übersetzung noch nicht gelesen), ist das noch das Kakaopulver auf dem Sahnehäubchen.

    Immer bemüht, den Zauber des schönen Spiels zu ergründen:
    erz

  4. @T0bstar:
    Rechtfertigen? Nein, überhaupt nicht. Aber der Kommentar ist gern gesehen.

    “Ich glaube, dass richtige Profis mit den Taktikanalysen von ZM oder mir nicht viel anfangen können”

    Ich denke, das steht außer Frage. Was ich aber wirklich gerne wüsste, das kommt oben leider nicht so raus: was ein “Experte” zu Euren Analysen sagen würde, ohne den Anspruch, darauf seinen “Matchplan” aufzubauen. Wäre das eher ein “ok, der hat die Sache grundsätzilch verstanden”, oder gäb’s doch nur ein müdes Lächeln (was ich nicht glaube)?

    Dass Du mit Deinem Blog nicht von heute auf morgen reich wirst, vermute ich auch (wenn Du es würdest, um so besser, ich sehe darin nichts Schlechtes). Dessen ungeachtet ist monetäre Entlohnung nicht der einzige Anreiz, für den es sich lohnen könnte, ein Thema zu besetzen, für das es bisher im deutschsprachigen Raum wenig Anbieter gibt. Reputation ist ja schon mal nicht schlecht, und irgendwann kann die sich auch im Wortsinn bezahlt machen.

    Halt, jetzt läuft die Argumentation aus dem Ruder. Man könnte meinen, ich machte Dir einen Vorwurf. Mitnichten. Es war doch zu erwarten -und zu erhoffen-, dass einige versuchen würden, Zonal Marking nachzueifern. Ich käme gar nicht auf den Gedanken, von “auf den Zug aufspringen” zu sprechen, das klingt viel zu negativ, nach Trittbrettfahrer.

    Um so einen Blog zu betreiben, muss man das Thema, das man beackert, wirlich lieben, sonst funktioniert es nicht.

    Genau deshalb bin ich ja ein wenig über Michael Cox’ oben zitierte Äußerung bezüglich seiner Motivation gestolpert. Das klang so… beliebig? Lieblos?

    Genug. Danke für das Lob und die gelungene unnötige Rechtfertigung 🙂

    @erz:
    Ich bin weit davon entfernt, Tuchel zum Heiland auszurufen. Für ein großes Trainertalent halte ich ihn gleichwohl, und sehe ähnlich wie Du Menschenführung und Trainingssteuerung als sehr relevante Aspekte an. Beides allerdings Punkte, die ich noch weniger beurteilen kann als seine taktischen Fähigkeiten, da sie sich nur mittelbar auf dem Feld zeigen.

    Dass Dein Ansatz ein ganz anderer ist als der von Michael Cox oder den anderen genannten, ist offensichtlich. Insbesondere weniger auf das einzelne Spiel fixiert – auch wenn, wie wir schon einmal kurz andiskutiert hatten, die Illustration anhand konkreter Fälle wichtig ist-

    Im Übrigen meine ich auch aus Deinem Kommentar einen gewissen Drang nach Rechtfertigung herauszuhören. Da hab ich wohl was falsch gemacht. Wobei: nein. Ist doch wunderbar, dass Ihr Euch aufgefordert fühltet.

  5. Weil’s grad so schön passt,

    Roy Keane hat auch eine Meinung:

    “A lot of supporters don’t know much about the game,” said Keane, after criticism of his tactics in Saturday’s 2-1 defeat to Coventry.

    Keane, whose side visit Watford, operated with just one striker.

    “Supporters mustn’t worry about tactics, that’s a problem for me,” he said. “We’re in the top six and in the Carling Cup. Instead of moaning the fans need to back the boys.”

  6. Nö, nen Rechtfertigungsdrang hab ich nicht. In Zeiten, wo das Bielefeldistentum mit dem Boulevard gemein wird, will ich nur stets der puren Liebe zum Spiel Ausdruck verleihen.

    Die Tuchelgeschichte hab’ ich deshalb aufgegriffen, weil er von eben jenen Kräften zum Heiland ausgerufen wurde (auf Basis welcher Bewertungsexpertise? Doch nur Ergebnisberichterstattung und Heiland is vorbei, wenn Mainz einbricht?) Du hast völlig recht – eines Trainers Fähigkeiten qualifiziert einzuschätzen ist tatsächlich nur möglich, wenn man ihm oder ihr bei der täglichen Arbeit auch abseits des Platzes über die Schulter schauen könnte. Wir behelfen uns halt mit dem, was der Anglophile gerne “educated guesses” nennt und hoffen auf kompetente Berichterstattung.

    Wenn ich eine Aufforderung aus deinem Beitrag herauslese, dann den, endlich wieder einen Beitrag zu verfassen. Das wird in den nächsten Wochen leider nix, aber wenn ich diverse Dinge aus dem analogen Leben erledigt habe, wird auch die Taktiktafel gefüttert. Gerne auch mit Beispiel 😉

  7. ich möchte nicht behaupten, es sei ein typisches männergespräch, ich hab mich aber noch nienienie mit einer frau über taktische aufstellungen unterhalten. nicht mal mit solchen frauen, die selber fußball spielen. ich glaube, es ist einfach eine art (von mehreren möglichen), gesehenes zu beschreiben, indem man in zahlencodes übersetzt, wo ein spieler hätte sein sollen, während er sich … die schnürsenkel zugebunden hat.

    am liebsten mag ich die stelle in der nachspielpressekonferenz, wo durchaus kluge und befähigte sportjournalisten den trainer fragen, warum er denn 4-2-3-1 spielen ließe, und der trainer entgegnet: dis war doch 4-4-2, haben Sie nicht aufgepasst?

    diese systembeschreibung über zahlen ist durchaus geeignet, etwas hochkomplexes kompakt zu beschreiben. meist sind sich aber doch alle darüber uneins, wie das gesehene einzuordnen / zu bewerten ist. genau wie beim rest der bewertung eines fußballspiels. sehr selten nur passiert es, (jedenfalls da, wo ich fußball kucke), dass sich nach abpfiff mehr als 2 personen darauf verständigen können, was genau sie gesehen haben. schön ablesen kann man das etwa an den aufstellungszetteln der anderntags erscheinenden druckerzeugnisse, die man gerne noch neben die im fernsehen genannte aufstellung legen kann (die ja absurderweise immer VOR DEM SPIEL erscheint, also allenfalls ausdrückt, was der trainer sich so dachte, das die spieler tun sollen).

  8. @Steffi:
    Um sicher zu gehen, Dich richtig zu verstehen:
    Ab welchem Punkt ist es irrelevant bzw. ein Männerthema? Konkret: ist die Diskussion über eine taktische Aufstellung männlich, oder ihr Aufmalen, oder der Versuch, sie ihn Zahlen zu fassen?

    Diese Zahlenkolonnen geben mir auch nicht allzu viel. Sie sind eine Krücke, um Gesehenes in ein vereinfachtes und hoffentlich vereinfachendes Gerüst einzufügen. Nicht ganz von ungefähr habe ich oben im Text beispielhaft drei vermeintlich verschiedene Formationen verwendet, die je nach Sichtweise, Vereinfachungsgrad und betrachtetem Zeitfenster für ein und dieselbe Aufstellung stehen können. Zumindest für einen Laien wie mich.

    allenfalls ausdrückt, was der trainer sich so dachte, das die spieler tun sollen

    Vielleicht ist es ja auch das, wovon sich der Trainer erhoffte, dass der Gegner es sich anhand der 11 aufgestellten Spieler so vorstellen würde, während er selbst ein ganz anderes Bildchen im Kopf hatte, mit dem seine Mannschaft dann den Gegner und die Berichterstatter überrumpelte.

    Womit wir an dem Punkt wären, wo die taktische Betrachtung für mich als Mann ganz besonders interessant ist: wo ist Spieler K völlig überraschend aufgetaucht, wie lange hat der Gegner gebraucht, um das nicht nur zu bemerken, sondern auch (wirksame?) Gegenmaßnahmen zu ergreifen, und wie sehen diese Maßnahmen an der Taktiktafel aus?

  9. Als Schlurch-Blogger ist mir die Kamkesche Gefühlswelt nicht fremd – zwar hoffe ich, dass durch den jahrelangen Konsum von Fußballgedöns ein gewisses taktisches Grundverständis in mir hängengeblieben ist, würde mir jedoch nie zutrauen, eine Taktik aus einem Spiel herauszulesen und zu analysieren. Wenn doch, dann beim Bier auf der Couch mit Freunden, aber nie vor einem (vermeintlich) größeren Publikum in der Öffentlichkeit des Webs.

    Mein Interesse hingegen ist groß, und die Frustration über die Beliebigkeitsbrocken, die einem bei der Analyse im Fernsehstudio hingeworfen werden, leider auch.

    Daher eine Frage in die Runde der versammelten Taktikfüchse: Gibt es Literatur, die sich mit Fußballtaktik beschäftigt und die Ihr empfehlen könnt? Also, dass es sie gibt, ist mir klar, aber eben nicht, ob sie es wert ist, erworben und gelesen zu werden. Wäre für Tipps dankbar!

  10. @heinzkampe: Es ist ja nichts Schlimmes, sich zu rechtfertigen, im Gegenteil. Auf diese Art kann man erklären, was einen umtreibt und wieso man sich für das ganze “Taktikgedöns” überhaupt interessiert. Von daher habe ich dir gar keinen Vorwurf gemacht, sondern nur meine Motivation erläutert 🙂 Gerade im Zusammenhang mit Cox Aussage, die ich genau wie du leicht lieblos finde. Ich hatte einfach das Bedürfnis, meine Motivation klar darzustellen.

    @steffi: Ich halte auch nicht viel von den Zahlenspielen. Ich finde, Christoph Biermann hat in seinem bekannten Buch “Der Ball ist rund(…)” das Thema anschaulich verdeutlicht. Eine Mannschaft spielt ganz, ganz, ganz selten mit einer Formation; diese ändert sich dauernd und ist im Fluß. Die taktische Diskussion geht ja auch nicht nur um Aufstellungen und Zahlen, sondern vor allem um Spielpläne und taktische Anweisungen. Betreibt eine Mannschaft Pressing? Rücken die Außenverteidiger oft auf? Wie stellt sich die Mannschaft auf den Gegner ein? Solche Fragen stellen sich für mich im Taktikbereich.

    @Hennes: Bei der Literatur kommt es immer darauf an, wie tief du in die Materie einsteigen willst. Wenn man regelmäßig Zonal Marking, die Guardian-Artikel von Wilson und die SPON-Artikel von Biermann liest, ist man schon schlauer als so mancher Reporter. Willst du noch tiefer in die Materie einsteigen, kommt man meiner Meinung nach nicht an “Inverting the Pyramide” vorbei. Da wird die Geschichte der taktischen Systeme erklärt und man bekommt einen sehr guten Einblick, wie Fußball zu dem wurde, was er heute ist. Die van Gaal Biographie habe ich noch nicht gelesen, werde mich aber direkt daran machen, wenn ich mit der Enke-Bio durch bin.

    Gruß, T0bstar

  11. Für mich ist die Formation und ihr Wandel während des Spiels (in Ballbesitz oder in Verteidigung) nicht mehr als ein Indiz dafür, welche Idee der Trainer von dem Spiel gehabt hat. Einen gewandten Trainer nach dem Spiel mit einer Zahlenkombination zu kommen, kommt ungefähr der Tatsache gleich, dem Gegner einen Degen in die Hand zu drücken und zu sagen: “Stechen Sie zu!”

    Der Trainer kennt seine Mannschaft (hoffentlich) besser als jeder tägliche Trainingsbeobachter und besitzt außerdem die Möglichkeit, zusagen, dass das 4-1-3-2 doch ein klares 4-4-2 oder 4-4-3 war.

    Weiter oben in den Kommentaren war davon die Rede, dass Taktik nicht mehr als eine Krücke zum Spielverständnis sei. Das meine ich auch.

    Und ich würde übrigens etwas dafür geben, mal die Manöverkritik nach einem Spiel auf einem Smartboard als Mäuschen mitzuerleben. Dann, wenn die einzelnen Laufwege vom Videoanalytiker auseinandergenommen werden. Wenn die Zuordnung durchdiskutiert wird. Aber das wird wohl nur ein frommer Wunsch bleiben.

  12. @heinzkamke meinen zweiten kommentar von gestern hat das internet gefressen, drum probier ich´s heute nochmal.

    ich meinte gar nicht, dass das irrelevant ist. überhaupt nicht. im gegenteil sogar. viel besser erklärt hat das TObstar – während des spiels passieren dinge, die eine handvoll zahlen eben gar nicht erfassen kann. den versuch, das trotzdem so zu erfassen, beobachte ich an männern eher häufig. kann aber der tatsache geschuldet sein, dass nicht so viele frauen über fußball schreiben. ich weiß es nicht wirklich.

    ich meine auch nicht, dass taktische analysen “nur für jungs” sind – früher oder später versucht jeder, der sich mit fußball beschäftigt, worte für das zu finden, was er sieht. und man sucht auch immer nach erklärungen, warum passiert ist, was eben passiert ist. das aufmalen finde ich dabei sogar sehr nützlich. (jede art von visualisierung; auch legomännchen)

    kurz gesagt: kein wort gegen taktikanalysen. wenn man im auge behält, dass sie nützliches hilfsmittel, aber eben nicht selbstzweck sind.

  13. Sebastian überholt mich grad wieder mit denken … das ist auch so ein punkt, den ich vergessen hatte: man sieht immer zu wenig, wenn man auf fernsehen angewiesen ist. und man erlangt mit einmal spiel kucken im stadion auch nicht mehr als einen groben überblick, wer wann wo war. für eine richtig gute analyse müsste man daten sammeln, an die man eigentlich gar nicht ran kommt.

  14. @TObstar, steffi, sebastian:
    Ich würde mich zu der Bemerkung hinreißen lassen, dass wir ein recht ähnliches Verhältnis zu taktischen Analysen haben. Und uns nicht zuletzt dahingehend einig sind, dass es der Vereinfachung bedarf (oder eben: Krücken), um auf Basis gemeinsamer, verständlicher Konzepte diskutieren zu können, dass diese Vereinfachungen aber bei intensiverer Beschäftigung zum einen grundsätzlich nicht befriedigend sind und zum anderen bei Veränderungen im Zeitablauf (die dem Spiel immanent sind) sehr rasch an Grenzen stoßen.

    @TObstar, philip:
    Danke für die Literaturhinweise
    [auch wenn ich nicht ohne Stolz verkünde, sie schon gekannt zu haben 😉 ]

    @steffi:
    Scheint wirklich das böse Internet gewesen zu sein, bei mir im Spamfilter ist nichts.

    @sebastian:
    Könntest Du mich bitte als zweites Mäuschen mit einschmuggeln? Neben der Videoanalyse würde mich ganz am Rande auch interessieren, wie der Trainer das von Dir angeregte 4-4-3 erklärt… 😉

  15. @Erz: Tuchel ist zum Heiland erklärt worden, weil sich seine Story, bzw. die der Mainzer, von den Medien so gut verkaufen lässt.

    Ich denke schon, dass der Anteil von guter Taktik am Erfolg höher liegt.

    1. @Johan Die Medienprozesse, die hinter solchen Hypes stecken, sind mir durchaus bewusst.

      Vorsicht, kruder, hochnerdiger Vergleich: Das Quantifizieren von Erfolgsfaktoren ist allerdings ein ähnlich fruchtloses Unterfangen wie das vom Anteil genetischer Faktoren. Die Epigenetik des Erfolgs wird nun einmal von diversen Umweltfaktoren bestimmt. Wenn die Teamchemie zum Beispiel dermaßen gestört ist, dass manche Spieler quasi geschnitten werden, hilft die beste taktische Marschroute nichts.

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