Die Empörung ist dahin

Ende der 90er Jahre empörte mich der FC Bayern München ein wenig. Indem er sich weigerte, Thomas Helmer einen neuen Vertrag zu geben. Jenem Thomas Helmer, dessen verbundene Knie wir noch alles aus Wembley in Erinnerung hatten (was dem FC Bayern egal sein konnte, mir persönlich aber sehr präsent war) und der in den Jahren zuvor ein Garant des Münchner Erfolgs gewesen war, eine verlässliche Führungsfigur. Meine romantische Ader war damals noch recht ausgeprägt.

In den Trennungswochen bis zum Saisonende und in die Sommerpause hinein musste ich bereits dem einen oder anderen Kommentator zustimmen, der den Münchner Verantwortlichen Respekt zollte für ihre Entscheidung, die Leistungen der Vergangenheit außen vor zu lassen, als es darum ging, die aktuelle Leistungsfähigkeit und die kurz- bis mittelfristigen Perspektiven zu bewerten. Vermutlich hatten sie recht: es reichte einfach nicht mehr für ganz oben. Und da wollten sie hin.

Im Lauf der Jahre bin ich abgeklärter geworden. Sah ein, dass manchmal jemand nicht mehr gut genug ist, man aber nicht von den Spielern erwarten kann, ihre Karriere zu beenden – wäre ja noch schöner! Konnte damit umgehen, dass Real Raúl auf seine alten Tage ein wenig umhertingeln ließ. Zuckte kurz, wenn auch ein wenig bedauernd, mit den Schultern, als Dedês Dienste nicht mehr so recht erwünscht waren. Verdrückte bei Pardos Abschied die eine oder andere Träne – nicht ohne gleichzeitig dem neuen starken Mann, Khedira, zu huldigen.

Und hätte auch kein Problem damit gehabt, wenn der VfB dem Helden der Fastabstiegssaison einen schnöden und wenig heroischen Wechsel nahegelegt hätte. Ein Problem habe ich eher jetzt. Dabei mag ich Tamas Hajnal. Sehr sogar. Ich schätze ihn als Typen, nehme ihn als freundlich, sympathisch, engagiert und außerordentlich professionell wahr. Wage zu behaupten, dass der VfB vor zwei Jahren ohne ihn abgestiegen wäre. Unabhängig von Bruno Labbadia. Im Spiel ist auch heute noch zu sehen, dass er immer vorangehen will. Als erster den Sprint anzieht, wenn es darum geht, vorne den Ball zu erobern. Die Bälle fordert, den entscheidenden Pass spielen will. Sich für ein Foul nicht zu schade ist.

Und doch: es reicht nicht. Vielleicht ist er nicht schnell genug, vielleicht hat sich sein Spiel überlebt, vielleicht war er auch nie ein Mann für ganz oben. Oder nur 2009, als er in Dortmund in tragender Rolle Platz 6 erreichte. 2009/10 waren seine Einsatzzeiten schon deutlich geringer, und ansonsten hatte er insbesondere dann überdurchschnittliche Werte erzielt, wenn seine Mannschaft in der zweiten Liga spielte (Kaiserslautern) oder in der Bundesliga unter ferner liefen rangierte (Karlsruhe 2008, Stuttgart 2011).

Im Vorjahr bereitete er, das soll nicht unter den Tisch fallen, beachtliche 10 Treffer vor, und wenn wir ehrlich sind, fragen wir, die wir die meisten Spiele sahen, uns noch heute, wie das passieren konnte. Hatte er sich doch vor allem dadurch ausgezeichnet, dass er das Spiel langsam machte. Doch sei’s drum: ich will auch die letzte Saison noch unter “gelungen” ablegen. Bei einer Mannschaft, die immerhin – und wenn wir ehrlich sind, fragen wir, die wir die meisten Spiele sahen, uns noch heute, wie das passieren konnte – einen Europapokalplatz errang.

Dieses Jahr war’s noch nichts mit Scorerpunkten. Und keiner fragt sich, wie das passieren konnte. Es erscheint vielmehr als logisches Resultat dessen, was er auf dem Platz bringt. Ungeachtet des Umstands, dass er immer vorangehen will. Als erster den Sprint anzieht, wenn es darum geht, vorne den Ball zu erobern. Die Bälle fordert, den entscheidenden Ball spielen will. Sich für ein Foul nicht zu schade ist. Ohne Effektivität, ohne den einen oder anderen Moment, der nicht einmal genial sein, aber doch zumindest inspiriert wirken muss, ist das nichts.

Tamas Hajnal ist in meinen Augen ein Spieler, der dann ein bisschen besonders sein kann, wenn er Torgefahr kreiert. Für sich selbst oder, ungleich öfter, für andere. Als soliden Mittelfeldarbeiter braucht man ihn nicht zu beschäftigen. Da gibt es andere, bessere, effektivere. Und bestimmt auch jüngere, um kurz den in diesen Zeiten verdammt schlecht ausgeschilderten Stuttgarter Weg zu bemühen. In der laufenden Saison kann ich mich an keinen Torschuss von Hajnal erinnern, bundesliga.de hat deren 4 gezählt. (So viele hat selbst Kvist.)

Natürlich kann ich mir dennoch Argumente vorstellen, ihn im Kader zu behalten. Er ist professionell, pflegeleicht, verlässlich, kann dem einen oder anderen jungen Spieler möglicherweise als Mentor dienen. Man erinnert sich hierzustadte gerne an Markus Babbel (zumindest in diesem Kontext), der in der Meistersaison auf gerade mal zwei Einsätze kam, nachdem er einige Monate zuvor noch vorsichtig  in den Dunstkreis der Nationalmannschaft geredet worden war (ich bin mir sicher: Xavier Naidoo hätte ein Sprüchlein für ihn gefunden): Serdar Tasci war ihm schlichtweg einteilt, und zwar auch dank Babbels Anleitung. Bliebe die Frage, ob Hajnal dazu bereit und in der Lage wäre. Ersteres würde ich, rein aus dem Bauch heraus, klar bejahen, zweiteres mit einem Fragezeichen versehen.

Ich zögere schlichtweg, den zweifellos soliden Bundesligaprofi Hajnal mit Markus Babbel auf eine Stufe zu stellen, der mit reichlich Erfahrung auf höchstem Niveau gesegnet war. Ob Raphael Holzhauser und Daniel Didavi – inwieweit sie als Paradebeispiele für demütige, lernwillige Jungprofis gelten dürfen, sei dahingestellt – von Hajnal in diesem Maße profitieren könnten, kann ich letztlich natürlich nicht seriös beurteilen, ganz im Gegensatz zu den Herren Labbadia und Bobic. Aber ich erlaube mir, es zu bezweifeln. Und gegebenenfalls auf Christian Gentner als Vorturner und Ratgeber zu verweisen.

Letztlich zerbreche ich mir den Kopf ohnehin völlig umsonst. Zum einen ist das Thema durch, der Vertrag verlängert. Zum anderen bezweifle ich, dass die Motivation der erfolgten Vertragsverlängerung die eben angerissene war. Vielmehr gehe ich davon aus, dass Hajnal noch immer als ernsthafte Alternative gilt. Als potenzielles Kreativzentrum quasi. In einem Verein, der unter ferner liefen rangieren will.

Was mich nicht einmal mehr empört.

0 Gedanken zu „Die Empörung ist dahin

  1. ” In einem Verein, der unter ferner liefen rangieren will.

    Was mich nicht einmal mehr empört.”

    seufz. auf eine komische art glaube ich manchmal hat stuttgart so ein ähnliches problem wie der hsv. man ist schon ewig dabei aber nur selten vorne man spielt bundesliga weil man schon immer da war bis auf einmal in den 70ern.

    aber so richtig eine idee warum für wenn oder wohin hat keiner, nicht der die fans, nicht das management und nicht die riege abgehalfterter wirtschaftsaparatschiks die den verein führen sollte ihn aber nur verwaltet.

    ich hab bei den staudts und hunds oft das gefühl die machen das weil es sich so gehört im musterballungsräumle das die industrie beim fußball den ton angibt. teils aus paternalistischem selbstverständnis teils weil die pr-fuzzis sagen das käme pr-mäßig gut und vielleicht ein klein bißchen weil sie angst haben da könnte was wachsen was irgendwann politik machen wollen könnte die ihnen nicht schmeckt, man hört solche sachen ja immer wieder aus hamburg und berlin anderen richtigen städten.

    aber in letzter zeit hab ich das gefühl der aufbruch der frühen nullerjahre ist endgültig vorbei. alles zu anstrengend, zu teuer, nervig. ein bißchen wie in hoffenheim, ein bißchen wie beim privatfernsehen das nach dem platzen der new economy blase merkte das man auch mit billigem programm gewinne machen kann. qualität, why bother?
    dabei war es so toll mal wirklich leben in der bude zu haben und keine truppe die nur eines werden wollte nämlich zehnter.

    ich hab den vfb geerbt von meinen eltern und großeltern. keine fanatiker aber man hat halt immer geschaut wie’s geht und was sie machen und wo sie stehen und zu verschiedenen zeiten im leben war man auch im stadion. in anderen ferner lief der vfb so neben her.

    und irgendwann wird er mir vielleicht mal wirklich wurscht sein. schade eigentlich.

  2. Ich lese aus deinen Zeilen, insbesondere den letzten, dieselbe leise Resignation, die ich in mir selbst erkannt habe. Die grundlegend erstmal nichtexistente Erwartungshaltung, mit der man selbst an ein Spiel gegen Köln herangeht. Die, die glaube ich auch bei Herrn Labbadia zu all der öffentlich herausgetragenen Empörung, die Fanbasis sei ja ohnehin nur von Miesepetern durchsetzt, führte. Unlängst. Mehrfach.

    Euphorie ist kein in Stuttgart oft gesehenes gut. Gibt ja auch weniges über das man euphorisch sein kann. Bundesligaspiele bei denen man sich wundert (und bei Herrn Ibisevic bedankt), dass irgendwie 25 Punkte zusammengestolpert sind, ein internationales Weiterkommen, bei dem selbst die Herren Harnik und Gentner einsehen, dass man dem VfB nur betrunken zusehen kann und dann Pokalspiele gegen Zweitligisten. Oder tiefer.

    Eh, well. Schwäbisches Granteln. Dabei bin ich gar kein Schwabe.

  3. Danke für Eure ausführlichen Kommentare, die ein in der Tat sehr unangenehmes Gefühl vertiefen, das irgendwo zwischen Resignation und Gleichgültigkeit liegt.

    Wobei ich für mich selbst sagen zu können glaube, dass dieses Gefühl auch ein bisschen dem Winterpausenblues geschuldet ist.

    Oder anders: bei jedem Rückrundenspiel werde ich, wie immer, voller Überzeugung von einem deutlichen VfB-Sieg ausgehen.

    Dessen ungeachtet, da bin ich ganz Deiner Meinung, westernworld, vermisse ich das, was man wohl einen Plan nennt, uns zwar einen, der nicht nur auf dem Papier oder in der Stadionzeitung steht, sondern der gelebt und umgesetzt wird.

    Und wenn dieser Plan hieße, den sportlichen Erfolg in den Hintergrund rücken zu lassen, konsequent mit eigenen, jungen Leuten zu versuchen, sich im hinteren Mittelfeld der Bundesliga zu behaupten, so wäre das eine Ansage, mit der ich leben könnte. Eine Ansage übrigens, mit der man dann bitte nicht, da kann ich Bruno Labbadia sogar verstehen, den Trainer und den Manager im regen stehen lassen sollte, sondern die dann auch der Präsident und der Aufsichtsratsvorsitzende klar beim namen nennen sollten.

    Aktuell wirkt das alles, hm, taumelnd.

  4. Vor allem dein drittletzter Satz bringt es auf den Punkt. Hajnal wird nicht als Backup behalten, sondern als potentieller Stammspieler. Wahrscheinlich mit einem völligen wirkungslosen Gentner auf der 6 dahinter.

    Ich war und bin auch kein Freund von Labbadia. Aber ich hoffe ja, dass er sich irgendwann mal ein Konzept für seine Aufstellungen ausdenkt und dass wir mit ihm und diesem Konzept ein paar Jahre gut fahren. Weil wenn ich von einem die Nase voll habe, dann ist es die nicht vorhandende Kontinuität beim VfB, bedingt durch die ganzen Trainerwechsel und die damit verbundenen Altlasten im Kader..

  5. Keine Frage, die fehlende Kontinuität auf der Trainerbank ist ein ganz zentraler Punkt (ob sie das Problem an sich ist, oder nur ein Symptom, wäre vermutlich noch zu diskutieren).

    Es bleibt allerdings die Frage, ob Kontinuität in jedem Fall besser ist als steter Wechsel. Kontinuität mit dem Falschen wäre wohl auch nicht das Wahre.

Schreibe einen Kommentar zu Lennart Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert