Kompromisslose Bravheit*

Lange vor Spielbeginn wurde deutlich, dass Bruno Labbadia seine Mannen erfolgreich eingeschworen hatte: bis hin zum Parkplatzwächter zeigten sie sich in ihrer Abwehrhaltung konsequent und kompromisslos.

So zumindest mein Eindruck, als der Steuermann einer recht großen Limousine versuchte, die Mercedesstraße auch im anlassbezogen Fußgängern vorbehaltenen Bereich zu befahren, vermutlich bis hin zum Businessbereichseingang. Die Diskussion zog sich ein wenig, die Worte des Einweisers waren zunehmend deutlicher zu vernehmen (vielleicht lag’s auch daran, dass sich meine Lauschdistanz – ohne dass ich eine Lauschabsicht gehabt hätte – verringerte, will ich ja nicht ausschließen) und kulminierten sinngemäß in einem unmissverständlichen “dann muss er halt aussteigen und die paar Meter laufen”. Also schickte der Spitzenpolitiker seinen Fahrer von dannen, stieg, ein wenig echauffiert anmutend, aus und ging zu Fuß.

Dahin wollte man die Bayern auch bekommen, vermute ich. Zu dem Punkt, an dem sie ein bisschen unglücklich sind, weil sie sich in ihrer Entfaltung eingeengt fühlen. Was dann, wenn es gelingt, auch mal dazu beitragen kann, dass Franck Ribéry in der ersten Hälfte öfter foult als gefoult wird,  zumindest nach meiner subjektiven Wahrnehmung, die sich für Halbzeit zwei nun wahrlich nicht aufrecht erhalten ließe.

Ohne jeden Zweifel ist es keine abwegige Herangehensweise, die in fast allen Belangen bestehende Überlegenheit des Gegners von vornherein anzuerkennen und entsprechend aufzutreten. Man sollte allerdings, und darin unterscheidet sich meines Erachtens ein Bundesligist aus dem mittleren oder unteren Drittel der Tabelle vom Pokalgegner aus der sechsten Liga, dennoch selbstbewusst genug sein, die Hoffnung auf eigene Angriffsaktionen nicht ausschließlich dem lieben Gott aufzuladen, sondern ein gewisses Grundvertrauen in die eigene Offensivkompetenz zu vermitteln – auch sich selbst.

Ansonsten sieht das dann so aus wie beim VfB gegen den großen übermächtigen Furcht einflößenden paralysierenden unbezwingbaren FC Bayern München, oder wie damals bei mir, als ich als ganz junger Erwachsenenfußballer am Ende einer guten Saisonvorbereitung etwas überraschend im Pokal gegen einen wesentlich höherklassigen Gegner mitspielen durfte und tatsächlich in eine vielversprechende Situation geriet.

Als ich den Ball erhielt, befand ich mich in einer deutlich besseren Position als der letzte Mann des Gegners, war allerdings noch gut dreißig Meter vom Tor entfernt. Die Chancen, das Laufduell zu gewinnen, lagen sicherlich ein ganzes Stück unter 50 Prozent, unter Berücksichtigung eines Hakens mit entsprechendem Raumgewinn, den ich gar nicht so schlecht beherrschte, könnten sie vielleicht sogar nahe an fifty-fifty herangereicht haben. Den Ball abzuschirmen und auf nachrückende Mitspieler zu warten, wäre mir ob meiner Nervosität und der vermeintlich einzigartigen Gelegenheit niemals in den Sinn gekommen, und letztlich entschied ich mich für die, äh, sichere Variante: Abschluss, aus dreißig Metern, quasi aus dem Stand, mit dem schwächeren Fuß. Höflicher Beifall folgte.

Eben diesen höflichen Beifall zolle ich auch dem VfB für sein Auftreten gegen die Bayern. Diszipliniert waren sie, zweifellos. Engagiert, in der Defensive. Und vor allem: brav. Aber brav reicht leider nicht. Man konnte sich fragen, wieso Ibrahima Traoré in zentraler Position nicht den Abschluss sucht oder weiterläuft und das Foulspiel des ihn wutschnaubend verfolgenden Bastian Schweinsteiger in Kauf nimmt, sondern sich an einem Querpass versucht, der die Begriffe “Alibi” und “feige” irgendwo in meinem Gehirn schnappatmend um Verwendung ringen lässt. Und bedauert, dass Martin Harnik in der fünften Minute eine sehr gute Konterchance mit einem ungenauen, meines Erachtens überhasteten (Wer weiß, ob wir in diesem Spiel noch einmal in die gegnerische Hälfte kommen?) Pass auf Traoré verschludert.

Ach, ich weiß auch nicht recht. Im Grunde lief alles wie erwartet, und doch ist die Enttäuschung enorm. Ich bin mir recht sicher, lieber wieder ein 3:6 sehen zu wollen, oder auch ein 1:6, bei dem man irgendwann einmal die Hoffnung hat, die Mannschaft glaube womöglich daran, etwas reißen zu können. So macht das keinen Spaß.

Und weil das so war, habe ich mich ein wenig am Spiel von Florian Meyer erfreut. Was nicht daran lag, dass ich mir aus meiner sehr ungünstigen Position keine regelgerechte Aktion vorstellen konnte, mit der Georg Niedermeier Toni Kroos gestoppt haben könnte, Meyer sie aber sehr wohl fand. An der einen oder anderen Stelle habe ich mich auch über ihn geärgert, wie man sich halt immer mal über den Schiedsrichter ärgert. Ich will auch nicht andeuten, Collinas Erben hätten mein Gehirn so gewaschen und getrocknet, dass ich nur noch das Gute im Schiedsrichter an sich sehe.

Vielmehr schaue ich Florian Meyer so gerne zu, weil er wie ein Fußballspieler läuft. So, wie ich mir Fußballspieler in meiner Jugend vorgestellt habe und sie wohl auch heute noch schätze. Etwas o-beinig, mit schwach ausgeprägter Eleganz, vielleicht gar ein wenig gebückt. Wie Jan Wouters halt. Und so gar nicht brav, im Übrigen.

Es gefällt mir einfach, wenn ich mir den Schiri als Fußballspieler vorstellen kann.

* Der Duden nennt als Synonyme für Bravheit nur Mut und Tapferkeit.  Ich meine was anderes.

0 Gedanken zu „Kompromisslose Bravheit*

  1. D’accord, Bravehearts waren da gestern keine unterwegs, im Trikot mit dem Brustring. Aber bitte, in der ersten Hälfte hat der VfB das insgesamt doch ganz ordentlich gemacht. Finde ich.

    Dann ein geschenktes Tor und etwas später war der zuvor Schenkende immer noch nicht ganz wach. 2:0. Eine Art Rapid-Viertelstunde (der Heimmannschaft) hätte dem Spiel daraufhin sicher nicht geschadet. Stattdessen Gelb-Rot, für einen, der gelegentlich schon mal das Heft und damit das Spiel in die Hand nimmt beim VfB.

    So wurde es letztendlich ein glanzloser Sieg, den ich als Münchner trotzdem gerne mitnehme. Offen bleibt leider die Frage: Wäre es mit Braafheid vielleicht anders gelaufen? Also auf unserer Seite. Ganz ehrlich, ich will es gar nicht wissen.

    Was mich etwas verwundert: Ihr – so oft und nicht zu Unrecht der Geschäftstüchtigkeit verdächtigten Schwaben – habt keine gebührenpflichtige, aber dafür befahrbare Fast Lane zum Businesseingang der Arena? Oder war es Herr T. aus B., den ihr da ganz bewusst zu Fuß gehen ließt. Wenn dem so war, dann zu Recht.

    Ach ja und der Text an sich: Bravissimo!

  2. Oettinger?
    Ich fand den Pass von Harnik schon die richtige Aktion. Leider war es eben Harnik, den ich als Mensch sehr schätze, der den Pass spielte. Gleiches gilt für den Angriff, bei dem Harnik den Ball von der Torauslinie zurücklegt. Halbhoch (meiner zum Glück schon verblassenden Erinnerung nach)!
    Mein Bruder hat mal gesagt, dass Molinaro mit dem richtigen Trainer der beste linke Verteidiger der Liga wäre oder würde. Ich habe ihn nicht ausgelacht. Seit gestern glaube ich nicht mehr daran. Aus Afrika zurück darf dann wohl wieder Boka die Fehler machen.
    Die Spiele gegen Bayern erzählen die Geschichte des VfB. Früher zappelte ich nervös rum, ärgerte mich über den Schiedsrichter oder das bayrische Pack, oder beides. Der Gegner war zwar noch überlegen, aber in Reichweite.
    Heute sitze ich emotionslos da und bin angenehm überrascht, wenn es keine sieben Kisten gibt.
    Besser ist heue allerdings, dass es die schönen Stücke von Heinz Kamke zu lesen gibt. Mir ist es ja hin und wieder vergönnt, dem nun schon etwas reiferen Kamke beim Kicken zuzusehen. Ich glaube, er hat den Ball aus 30 Metern in den Winkel gehauen…….

  3. Danke schön für Eure lieben Worte, freue mich edifingeresk.

    @TheBigEasy:
    Genau. Eine Rapid-Viertelstunde hätte man sich gewünscht. Und wusste doch, dass dieser Wunsch völlig abwegig war. Meine Rede, quasi, nur anders.

    (Tatsächlich glaube ich übrigens, dass es eine Art Fast Lane gibt, nur eben woanders. Was der Fahrer, der nicht aus B. gekommen sein dürfte, wohl wissen könnte.)

    @martinkelsch:
    Nee, andere Farbe. Und nicht ganz so spitz.

    Ja, der Pass war schon richtig. Im Grundsatz. Dennoch überhastet, im Sinne von unkonzentriert. Kein Wunder, dürfte er doch diese innere Stimme gehört haben, die ihm einflüsterte, dass dies vielleicht die erste und einzige Chance im ganzen Spiel bleiben würde, dass irgendein pfeilschneller Münchner ihm wie wild auf den Fersen sei, dass er es jetzt bloß nicht versauen dürfe, und so weiter. Den zweiten von Dir angesprochenen Angriff fand ich tatsächlich besser, der besagte Pass war sicherlich etwas zu hoch gespielt; dennoch war da einfach auch Pech dabei, dass die Nachrücker aus dem Mittelfeld ihn knapp verpassten.

    Vielleicht darf ja auch Rüdiger bleiben und Sakai spielt links. (Was nichts daran ändert, dass ich der Meinung Deines Bruders eine Menge abgewinnen kann. Vielleicht sollte man Hleb zurückholen …)

    Den Schluss möchte ich nicht kommentieren. Vermutlich könnte ich nicht so emotionslos bleiben wie wir beide am vergangenen Sonntag.

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