Durchschlagender Lobbyerfolg

Wir hatten gewusst, dass wir das Pokalfinale in Bayern verfolgen würden. In einem halböffentlichen Raum. Wir, das waren mein Sohn und ich. Genauer gesagt: die ganze Familie. Aber nur wir beide hatten uns trikotseitig präpariert. Der junge Mann hatte ein aktuelles Jersey aus der Saison 2012/13 im Reisegepäck, der Sohn hingegen … ok, war einen Versuch wert. Der Vater also war mit Fredi Bobic angereist, auf einem Südmilch-Vifit-Shirt aus dem Pokalsiegesjahr 1997.

Wir hatten ein Outfit, und wir wollten es benutzen. Zumindest war ich lange davon ausgegangen. Am Spieltag selbst reagierte Kamke junior indes recht zurückhaltend, als ich ihn frug, ob wir bereits im Trikot zum Abendessen gehen oder uns doch erst hinterher umziehen sollten. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, sollte ich vielleicht dahingehend korrigieren, dass seine Reaktion keineswegs zurückhaltend war. “Ablehnend” wäre wohl die bessere Vokabel. Er wollte nicht.

Ursachenforschung schien geboten. Ich hatte einen Verdacht, musste aber zunächst mögliche alternative Erklärungen ausschließen. Also frug ich ihn, ob er die Seiten gewechselt habe. Dieses Szenario schien nicht ganz abwegig, hatte er doch beim Hoteltippspiel ein klares 4:1 für die Bayern prognostiziert. Zudem waren nicht wenige seiner Freunde zwischenzeitlich dem Erfolg oder der materiellen Einflussnahme verschiedener Anverwandter gen München gefolgt, herzensmäßig. Ob sein Dementi ein aufrichtiges gewesen oder primär meinem Tonfall geschuldet war, konnte ich zunächst nicht beurteilen war mir zunächst egal, Hauptsache, es kam.

Nach Erreichen des Ruhepulses wiederholte ich die Frage und versäumte dabei auch nicht, ihm glaubhaft zu vermitteln, dass es völlig in Ordnung sei, nein: wäre, die Bayern zu unterstützen, oder meinetwegen auch Dortmund, Hoffenheim oder Düsseldorf. Ist es ja auch. Wie auch immer: er verneinte ebenso glaubhaft und betonte, dass er natürlich weiterhin auf Stuttgarter Seite stehe. Das Trikot wolle er dennoch nicht tragen. Und ich solle auch nicht.

Meine zweite Vermutung lautete, dass er sich nicht exponieren wollte. Möglicherweise Nachfragen, Frotzeleien, letztlich Aufmerksamkeit hervorrufen. Das ist nämlich nicht so seins, eigentlich. Gibt er aber nicht so gerne zu. Sodass er auch hier – natürlich, möchte ich sagen – widersprach, ohne mich zunächst vollends überzeugen zu können.

Im Lauf des weiteren Gesprächs wurde dann aber doch deutlich, dass meine ursprüngliche Vermutung zutraf: meine Frau war schuld. Nein, die Fans. Nein, die Medien. Die Politiker. Die Hysteriker. All jene, die uns seit viel zu langer Zeit, und ganz besonders in der Vorrunde der abgelaufenen Saison, einbläuen wollen, der Fußball habe ein Gewaltproblem. Irgendwann gibt sich der Medienkonsument geschlagen. Selbst meine Frau, die wahrlich nicht zur Hysterie neigt, die gelegentlich ein Fußballstadion von innen sieht und die meine Risikobereitschaft im Hinblick auf Gewalt ganz gut einschätzen kann.

Natürlich hatte sie unserem Sohn nicht gesagt, im Hotel müssten wir um unser Leben fürchten, wenn wir im “Feindesland” die falschen Farben (bildlich gesprochen, Sie wissen schon) trügen. Aber ein paar Tage zuvor, als ich in die verruchte bayerische Landeshauptstadt gereist war, um Blog- und Twittermenschen zu treffen, zwischen den beiden Finals, inmitten der Münchner Euphorie, da hatte sie schon gefragt, ob ich wirklich im Trikot hinfahren wolle. Sie hatte wohl dunkle Ecken in U-Bahnhöfen im Sinn, oder betrunkene Bayernfans, die beim Heimatintermezzo zwischen London und Berlin mit brennenden Bengalos durch die Stadt marodierten, die – natürlich völlig zurecht – um ihr historisches Triple fürchteten und deshalb die eigenen Chancen durch erfolgreiche Faustkämpfe gegen verirrte Stuttgarter Anhänger zu verbessern trachteten. Oder so.

Entschuldigung, das war jetzt unangemessen. Ich nahm das sehr wohl ernst. Zum einen deshalb, weil es meine Frau beschäftigte, und meinen Sohn. Erstere konnte ich überzeugen, dass ihre Bedenken aus meiner Sicht etwas übertrieben waren, letzteren nicht. Also erklärte ich mich bereit, das Trikot erst vor Ort anzuziehen oder es zumindest bis kurz vor dem Ziel unter einer Jacke zu verbergen. Was ich tatsächlich auch tat.

Zum anderen nahm ich es ernst, weil es mir sehr deutlich vor Augen führte, wie erfolgreich die Fußballgewaltlobbyisten gearbeitet hatten. Und in was für einer Blase ich mich online bewege, umgeben von Menschen, die das Ganze besser einzuordnen wissen, so zumindest meine Überzeugung, und die keine Lust haben, sich von den Rainer Wendts, den Lorenz Caffiers und Reinhold Galls sowie all den anderen, wie sagt man, Stakeholdern ein Gewaltproblem einreden oder gar nachsagen zu lassen.

Sie hatten nicht nur in den Köpfen vieler Menschen ein verheerendes und völlig irreführendes Bild von den Zuständen in deutschen Stadien geschaffen, nein, es war ihnen zudem gelungen, meine Familie in Sorge zu versetzen, ich könne mich einer Gefahr für Leib und Leben aussetzen, indem ich mich in einem Trikot des VfB Stuttgart durch München bewege. Ich war, und bin, ernsthaft irritiert.

Mein Sohn räumte dann übrigens ein, dass er diese Gefahr tatsächlich auch auf das bayerische Hotelumfeld projiziert hatte. Ich konnte ihn auch nicht davon abbringen. Nicht einmal, indem ich zahlreiche Hotelgäste einzeln mit ihm durchging und frug, ob er sich denn vorstellen könne, dass der- oder diejenige uns etwas antäte, wenn wir im Trikot erschienen. Was er lachend verneinte.

Aber ohne das freundliche Zutun einer freundlichen Angestellten, die er ein bisschen ins Herz geschlossen hatte (und sie ihn) und die ihn explizit auf das Trikot ansprach, von dem sie doch wisse, dass er es im Zimmer liegen habe, hätten wir das Spiel neutral verfolgen müssen. Was grundsätzlich in Ordnung gewesen wäre. Aber nicht vor diesem Hintergrund.

0 Gedanken zu „Durchschlagender Lobbyerfolg

  1. schönen gruß an frau und kind, die bayernfans sind auf alle möglichen arten widerlich aber was gewalt angeht in der regel ausgeprägt unauffällig.

    überhaupt hat die 1.liga heutzutage wirklich kein gewaltproblem mehr das wurde alles erfolgreich in die unteren ligen von der 3. abwärts verdrängt.

    in meiner schlechten alten jugendzeit anfang der achziger war das alles wirklich nicht lustig und für mich auch mit ein grund nicht mehr ins stadion zu gehen im vergleich zu damals als man im a-block, und nicht nur dort, definitiv zu viele skins pro quadratmeter hatte ist das heute alles harmlos.

  2. Hach. Ein echter Kamke. Danke. Sowohl für das wie, als auch das was. Stark. Wie die Blase in der wir uns bewegen. Vllt. Macht diese Blase ja mal mobil. Gewaltfrei. Gegen die Wendts dieser Welt…
    Ist nur so ein Gedanke. Noch nicht weiter angedacht…

  3. Hm, wahrscheinlich fühle ich mich nach meinem Kommentar wie der ungeladenen Gast, der die harmonische Partystimmung in Schieflage bringt, doch kann ich meinen Einwand nicht zurückhalten. So wenig wie die Gewaltlobbyisten den Stadionbesuch zu einem Abstecher in Dantes Inferno umdeuten sollten, so wenig sollten die Bewohner der Online-Blase ihn als Ausflug ins rosa Bärchenland verharmlosen. Die Wahrheit liegt wie immer irgendwo dazwischen.

    Sie besteht mehrheitlich aus friedlichen Fans, aus einem emotional bewegenden Massenereignis, aus schönem Sport, aus Bier und Würstchen, aus einem euphorisierten Vater und einem Sohn, der auch wegen der leuchtenden Vateraugen diese Erinnerung bis ins Erwachsenenalter als Schatz bewahren wird.

    Sie besteht aber leider auch aus Rauchbomben und Platzsturm unverbesserlicher Idioten, die ein Gänsehautgefühl der Unsicherheit erzeugen. Sie besteht auch aus Idioten, die den zehnjährigen Neffen im Trikot des Gegners als Missgeburt beschimpfen. Sie besteht aus Pöbeleien gegen Spieler, Trainer und Schiris…und sie besteht letztlich auch aus jenen, die folkloristisch abwinken: “Das gehört dazu!”

    Insofern kann ich die Sorge der Mutter nachvollziehen. Mich würden die negativen Seiten nicht von einem gemeinsamen Vater-Sohn-Moment im Stadion abhalten. Doch würde ich am Ende des Tages heimlich erleichtert seufzen: “Zum Glück ist alles gut gegangen!”

  4. @Hennes:

    Einspruch! Die Mutter artikulierte ihre Sorge nicht im Vorfeld eines gemeinsamen Stadionbesuchs des kleinen Sohnes mit dem möglicherweise für die besagten Gefährdungen blind gewordenen Vater, sondern angesichts des (nur) väterlichen Besuches einer Stadt im Trikot eines nicht dieser Stadt zugehörigen Fußballvereins. Die einzige oben betrachtete gemeinsame Aktion von Vater und Sohn bestand darin, in einem bayerischen Beherbergungsbetrieb während der Fernsehübertragung eines Fußballspiels ein nicht bayerisches, gegnerisches Trikot zu tragen.

    Nicht einmal ansatzweise war daran gedacht, uns (oder auch nur mich, Tage zuvor) in der Nähe eines Fußballstadions, von Rauchbomben, Platzstürmen oder ähnlichen Dingen, deren Existenz völlig unzweifelhaft ist, aufzuhalten.

    Es ist die – meines Erachtens mehr als nur billigend in Kauf genommene – Übersensibilisierung meiner Frau (und, so meine Vermutung, vieler anderer Leute) durch Politiker und Obrigkeitsvertreter, die ich kritisiere. Nicht die ernsthafte Auseinandersetzung mit möglichen Gefahrenmomenten, wo sie tatsächlich existieren.

    Dem kann man entgegnen, gewiss, dass selbst Rainer Wendt (vermutlich) niemals gesagt habe, man dürfe sich nicht an einem normalen Wochentag in den falschen Farben in einer deutschen Großstadt bewegen, und dass es sich lediglich um eine Überreaktion meiner Frau handle.

    Was ich persönlich so nicht gelten ließe; die transportierte (oder: vernommene) Botschaft lautet nach meiner Wahrnehmung keineswegs nur “Fußballstadien sind (manchmal) gefährlich, wegen einzelner Idioten”, sonder eher “rund um den Fußball herrscht ein Klima der Gewalt”. Aber das ist natürlich nur meine persönliche Interpretation.

    Davon ab bist Du alles andere als ein ungeladener Gast, ganz im Gegenteil. Wenn ich Dir nun widersprach, dann nicht, weil ich Deine Meinung ablehne. Vielmehr kann ich dem Großteil dessen, was Du geschrieben hast, zustimmen. Den Schuh “Verharmlosung von Stadionbesuchen” ziehe ich mir jedoch nicht an.

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