Hans-Martin ritt mit leichtem Mut, bei Twitter fand man's nicht so gut.

Spätestens als Katrin Müller-Hohenstein allen Ernstes von Inka Grings erfahren wollte, ob sie während des EM-Finales mitbekommen habe, wie der Bundespräsident auf der Tribübe jubelte, war es an der Zeit, die Aufmerksamkeit vom Sportstudio weg zu verlagern. Twitter drängte sich auf.

Die Timeline war voller Tweets mit dem Hashtag #sdr, in denen häufig zudem der Name Hans-Martin fiel. Mein Interesse hielt sich zunächst in Grenzen, ich dachte an ein neues Casting- oder Datingformat. Auch die Erkenntnis, dass es sich bei #sdr um “Schlag den Raab” handelt, brachte mich noch nicht zum Umschalten – das schaffte erst der immer schärfere Tonfall bei Twitter, der schließlich im Hashtag “Hassmartin” gipfelte. Zu Wortspielen mit Namen will ich nichts sagen; was ich aber nicht gedacht hätte: dass Samstagabendunterhaltung im Fernsehen in der Lage sei, innerhalb weniger Stunden ein so starkes Gefühl wie Hass entstehen zu lassen.

Um mir ein umfassendes Bild vom Kandidaten Hans-Martin zu machen, fehlten mir etwa drei Stunden (Brutto-)Sendezeit; die Phase, in der jener Hass (zumindest aber die Abneigung) seinen Ursprung hatte, war mir entgangen. Ich war jedoch durchaus in der Stimmung, Häme zu entwickeln, allein: es gelang mir nicht. Hans-Martin war mir in den 4-5 Spielrunden, die ich sah, nicht sonderlich sympathisch. Er zeigte sich sehr ehrgeizig, feuerte sich ständig selbst an, scherzte ungelenk und machte sich auch mal über seinen Gegner lustig. Dieser Gegner war, nur zur Erinnerung, Stefan Raab. Stefan Raab!

Hans-Martin hat ihn ausgelacht, weil er die USA geographisch nach Europa legte – ein Fehler, den niemand ernsthaft als Bildungsmangel interpretieren kann, über den man nicht lachen dürfe. In jeder privaten Runde, in der jemand einen vergleichbaren Lapsus begeht, kann er sich der fortgesetzten Häme der Umsitzenden sicher sein, und das ist auch ok. Vielleicht war es ein Grundfehler von Hans-Martin, dass er sich auf Augenhöhe mit Raab wähnte, in ihm einen Buddy sah, über den man sich lustig machen könne, wenn ihm etwas misslingt – dürfte man wahrscheinlich auch, wenn man nicht schon kurz nach dem Start bei Publikum, Gegner, Spielleiter(!) und Moderator völlig unten durch wäre. Bei einem Publikum, das sich über seine Versuche der Eigenmotivation lustig macht, die es in ähnlicher Form bei Tennisspielern und anderen Sportlern spätestens seit Boris Beckers Zeiten als selbstverständlich ansieht.

Wie bereits gesagt: Hans-Martin taugte nicht zum Sympathieträger. Das lag vermutlich in hohem Maß an der Kombination aus ausgeprägtem Ehrgeiz (wobei man sich über eine Fehlentscheidung des Schiedsrichters auch einmal ärgern darf, wenn es um 500.000 € geht – zumal wenn der Gegner Ähnliches deutlich offensiver getan hat) und ebensolchem Selbstvertrauen (das ihm beispielsweise beim Balancierspiel, auch zu meinem Vergnügen, auf die Füße fiel).
Und wie ebenfalls gesagt: ich habe nur einen kleinen Ausschnitt gesehen.

Doch unabhängig von der Frage, wieviel Sympathie ein Kandidat sich erarbeitet hat, und auch ohne darüber nachzudenken, wie sehr man in vergleichbarer Situation den eigenen Ehrgeiz, das eigene Interesse an der halben Million unter Kontrolle gehabt hätte, empfinde ich die Reaktionen als erschreckend. Es hat mich irritiert, dass das Hashtag #hassmartin entstand und über die Sendung hinaus Bestand hat. Mich stört ungemein, dass die Profis von ProSieben, insbesondere Matthias Opdenhövel, das Ganze auch noch forciert haben. Und schließlich bin ich – man mag mich naiv, weltfremd oder vorgestrig nennen – noch immer überrascht, dass der Schwarm dieses leichte Opfer so dankend angenommen hat.

0 Gedanken zu „Hans-Martin ritt mit leichtem Mut, bei Twitter fand man's nicht so gut.

  1. Die Twitter-Diskussionen habe ich nicht verfolgt, aber ich habe die ganze Sendung gesehen. Und wenn man die ganze Show gesehen hat, dann hat man in der Tat wirklich eine ziemliche Abneigung gegen den Kandidaten entwickelt.

    Klar, er hat um 500.000€ gekämpft und da wäre ich sicherlich auch verbissen. Aber er ist von vornerein sehr arrogant und auch ziemlich überheblich an die Sache rangegangen. Und zwar direkt vom ersten Spiel an und das passte einfach nicht zu dieser Art von Show.

    Ich glaube, wenn Du die Show komplett mitverfolgt hättest, hättest Du es sicherlich auch was anders gesehen. Der Zeitpunkt, zu dem Du eingestiegen bist… da war das Kind schon im Brunnen. Und Buschmann/Opdenhövel waren zu beginn recht nachgiebig – aber eben auch irgendwann genervt. Auch wenn das vielleicht nicht so 100% professionell war, so war es doch menschlich nachvollziehbar.

  2. Um mir ein umfassendes Bild vom Kandidaten Hans-Martin zu machen, fehlten mir etwa drei Stunden (Brutto-)Sendezeit

    Drei Stunden! Der entscheidende Satz in deinem Eintrag. Ich durfte dagegen den Abend mit Hans-Martin in voller Gänze genießen, neben einer vor Begleittweets zu #SdR überquellenden Twitterwall.

    Und ich habe ja schon viel Fernsehen geguckt, aber so einen Kandidaten noch nie gesehen. Um mal den geschätzten Baron Agitpop zu zitieren: „der hat (sich) jeden einzelnen Buhruf hart erarbeitet“. Empfehle ansonsten die Einträge von Mellcolm

    Hans-Martin, Twitter und der Weltfrieden

    und Christian Jakubetz

    Ein (…) geht um die Welt

    zum Thema. Noch ansonstiger und ersatzweise zum richtigen Abgrundblick einen (längeren, d.h. länger als zehnminütigen) Aufenthalt in einem Imageboard deiner Wahl (Krautchan oder 4Chan böten sich da an), auch wenn Agitpops Tweets eigentlich schon umfassend das Phänomen erklären.

    PS: Warum haste nicht gründlich recherchiert und dir wenigstens die Wiederholung der Sendung am Sonntag angesehen, bevor du da ach so schreckliches — und für dich offensichtlich unverständliches — lesen musstest? Allein die Reaktion des Studiopublikums auf Hans-Martin (spätestens die Buhrufe, als er gewann) hätten dir ja zeigen können, dass da außergewöhnliches passierte. Dass dann einige mit ihrer Kritik übers Ziel hinausschießen, nun ja. Der Mann hat 500.000 Euro gewonnen, da ist ein ordentliches Schmerzensgeld. Und Freunde wollte er nach eigener Aussage eh nicht gewinnen.

  3. Wie gesagt: mir geht es nicht darum, ob der Mann sympathisch war/ist oder nicht. Ich will mir auch kein umfassendes Bild von ihm machen, geschweige denn drei Stunden Schlag den Raab nachholen.

    Um festzustellen, dass die Zuschauer in der Phase, die ich gesehen habe, nicht mehr gänzlich objektiv waren, brauche ich den Rest nicht gesehen zu haben. Und, um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: ich halte es auch für normal, dass man irgendwann auch kleinere “Vergehen” strenger beurteilt, wenn jemand mal unten durch ist.

    Und darüber, dass ein Publikum nicht davor zurückschreckt, von *Hass* zu reden, oder dass einzelne von Hans-Martin über Ha-Ma zum ach so witzigen Ho-Mo gelangen, kann ich mich auch wundern, ohne zu wissen, wie er sich diese Abneigung erworben hat – solange er nicht die Ächtung von Kinderpornographie kritisiert oder Ähnliches getan hat, was mir so nicht zu Ohren kam.

    Persönlich kann ich mir einfach nicht vorstellen, für eine(n) Teilnehmer(in) einer Fernsehshow wegen seines dortigen Verhaltens *Hass* zu entwickeln. Das würde ich als Schuss über das Ziel hinaus empfinden.

  4. hans-martin war ein vollhonk, aber das wars dann auch schon. habe mir das volle programm gegeben und fand ihn auch absolut unsympathisch. unsympathisch. mit hass hat das auch nichts zu tun. auf den twitterzug aufzuspringen und #hassmartin und ähnliches zu erfinden ist immer einfach… in der anonymität der gruppe bzw. des internets.

    buschmann fand ich ok (stichwort: schweinchen schlau), opdenhövels stimmungsmache im studio grenzwertig…

  5. Hass ist eine menschliche Emotion scharfer und anhaltender Antipathie. (Wikipedia; Herv. von mir)

    Cum grano salis. Das Schlagwort “#Hass-Martin” oder ähnliches zu erfinden ist, mit Verlaub, schon deswegen kein echter Hass, weil dahinter kein anhaltendes Gefühl steckt. Bei bei dem Namen des Protagonisten lag halt die Verballhornung per Lautverschiebung einfach sehr, sehr nahe, nicht mehr und nicht weniger. So wären viele andere, bei gleichem Grad der Unsympathie, vermutlich ohne das “Hass”-Etikett weggekommen.

    Und seit wann ist es die Aufgabe des Publikums von Unterhaltungssendungen, gänzlich objektiv zu sein? Die waren als Stimmungsmacher geladen, nicht als Geschworene. Wenn dann die Stimmung gegen den Kandidaten ausschlägt (anstatt wie sonst gegen Raab), muss das irgendeinen Grund haben. Erschreckend oder gar abendlanduntergängisch finde ich den aber nicht. Schon mal den Gesängen in einem Fußballstadion gelauscht, du Chorknabe? Erschrickst du da auch jedesmal, ob des verbal geäußerten Hasses*?

    Was ich aber viel interessanter finde: wie kann man nur statt dessen Sportstudio gucken? “Schlag den Raab” ist beste TV-Unterhaltung, auch, weil normalerweise Raab den Unsympath und Überehrgeizling gibt. Ein dicklicher Mann, der es mit großem Engagement schafft, trotz körperlicher Unterlegenheit auch viele Sportspiele für sich zu entscheiden. Großes Entertainment.

    *muss aber selbst zugeben, dass mir die im Fußballstadion rituell ausgetauschten Hass-Tiraden nicht gefallen, vermute aber, die allerwenigsten meinen das wörtlich und lassen einfach nur verbal die Sau raus. Muss man nicht gut finden, ist aber im Zweifel besser, als sich konkret an die Wäsche zu gehen.

  6. Hatten wir also alle am Samstag Abend nichts besseres zu tun als “Schlag den Raab” zu sehen? Persönlich fand ich Buschmann großartig. Ihm hat man den Spaß an der Sache wirklich angemerkt. Zum Rest ist alles gesagt.

  7. @probek:

    Und seit wann ist es die Aufgabe des Publikums von Unterhaltungssendungen, gänzlich objektiv zu sein?

    Meines Wissens überhaupt nicht. Ich habe lediglich zum Ausdruck gebracht, dass die Bewertungen der Zuschauer (wobei ich, das hab ich vorhin ungeschickt geschrieben, weniger das Publikum im Studio meinte als das zuhause twitternde) von Spiel 10 bis 14 (geschätzt)sich in dieser Phase nicht mit meiner Wahrnehmung deckten, was aber angesichts der Vorgeschichte nicht verwunderlich war.

    Das Sportstudio war meine einzige Möglichkeit, am Wochenende Bundesligafußball zu sehen (abgesehen von Teilen des VfB-Spiels auf einem Mobiltelefon). Mit dem Fernsehprogramm hatte ich mich gar nicht befasst.

    Und ja, Hasstiraden im Stadion ärgern mich auch. Wobei die ja häufig von Chorknaben vorgetragen werden 😉

  8. Mit dem Fernsehprogramm hatte ich mich gar nicht befasst.

    Wie gesagt, der eigentliche Skandal. #SDR und Twitterfall, eine großartige Kombination. Wie ja überhaupt manche TV-Sendungen erst durch Twitter erträglich werden.

    Das hat “Schlag den Raab” zwar nicht nötig, Twitter hat hier aber definitiv eine weitere — und ich muss zugeben, sehr unterhaltsame — Ebene hinzugefügt, die ich natürlich nur mit schlechtem Gewissen genießen konnte. Unterhaltsam war’s aber allemal, ist halt wie Fernsehen in ganz großem Kreis und jeder Menge Lust des Publikums, Bonmots zum besten zu geben.

  9. Geht mir ja auch oft so. Und im Grunde ist das gemeinsame Fernsehen mit Twitter sogar besser als im großen “Real-Life-Kreis”. Fußballspiele beispielsweise kann ich nur ganz schwer in der Kneipe oder beim Public Viewing ertragen. Mit Twitter hingegen klappt das ganz gut, weil ich selbst entscheiden kann, wessen Kommentare ich “hören” will und wessen nicht.

    Ha, schlechtes Gewissen, wusst ich’s doch! 😉

  10. Ich war am Samstag mit ein paar Kumpels beim Pokern und nebenher lief “SDR” (wieder was gelernt, diese Abkürzung war mir bis gestern nicht geläufig) und am Ende fragte sich dann jeder ein wenig: “Warum wird der eigtl so ausgebuht?” Aber richtig interessiert hat es dann letztendlich doch keinen – und das ist gut so!
    Da wird mal wieder heißer gekocht als gegessen.

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