Love's Labour's Lost

Ich habe keinen Einblick in interne Abläufe. Weiß nicht, ob der Trainer den Verantwortlichen gesagt hat, dass er die Spieler nicht mehr erreiche. Ob er, wie einst Thomas Hörster, nicht mehr an den Klassenerhalt glaubt. Ob er zu engen Umgang mit Frau Hundt pflegt. Ob ihm ein Angebot des Schweizer Fußballverbands vorliegt, das er nicht ablehnen kann. Ach, was weiß denn ich. Ich kann mir kein Urteil erlauben. Und tu’s trotzdem.

Die letzte Trainerentlassung, über die ich derart den Kopf schüttelte, war die von Jörn Andersen in Mainz. Der Zeitpunkt erschien mir damals noch ungeeigneter als heute bei Christian Gross. Wenige Tage vor Saisonbeginn, nachdem man die ganze Vorbereitung mit einem anderen Trainer absolviert hatte, einem Trainer, der die Mannschaft zum Aufstieg geführt hatte, wurde damals Thomas Tuchel berufen. Sicher kein Fehler, im Nachhinein betrachtet. Vielleicht sage ich das in einigen Monaten auch über den heutigen Schritt des VfB, man kennt ja diese wendehalsigen Fans.

Heute aber verstehe ich es nicht. Bin sauer. Erarbeite Verschwörungstheorien, in denen der Aufsichtsratsvorsitzende und der Hauptsponsor, ein Blauer, exponierte Rollen einnehmen. Bin geneigt, über die Fäden zu ätzen, die an einem Holzkreuz über Fredi Bobics Kopf hängen und die mindestens ein anderer in der Hand hält. Habe Horrorvisionen, angesichts derer ich mich frage, wem ich meine Dauerkarte bis November 2011 abtrete, falls der ehemalige Beinahebundestrainer mit dem blauen Anzug tatsächlich seinen Dienst hier antreten sollte (wohl wissend, dass ich vermutlich dennoch ins Stadion ginge). Versuche vergeblich, mir ein ernst zu nehmendes Szenario vorzustellen, in dem es sinnvoll sein könnte, bei zwei Wochen Pause bis kurz vor dem nächsten Spiel zu warten, ehe man die Pferde wechselt. Möchte kotzen. Harre nicht der wohl formulierten Erklärung der Vereinsführung. Sie mag angesichts der jüngsten Aussagen von Herrn Gross, wonach der Verein den Schwerpunkt auf den Stadionumbau (und nicht auf die sportliche Entwicklung) gelegt habe, Formulierungen wie “vereinsschädigend” oder “nicht bieten lassen” enthalten, oder aber, um arbeitsrechtliche Schwierigkeiten zu vermeiden, butterweich formuliert sein – es ist mir egal. Frage mich einmal mehr, wie gut die Idee war, fußballfremde, aber in der Leitung von Unternehmen erfahrene Manager in der Vereinsführung zu installieren – wegen ihrer “Professionalität”. Hinterfrage meine Definition von Professionalität… nein, die ist in Ordnung. Bin versucht, der Stuttgarter Zeitung ein Glückwunschschreiben zu schicken.

Ertappe mich dann – man ist ja Fan – trotz allem bei der Überlegung, was Jens Keller wohl kann. Als Jugendtrainer hat er gute Arbeit geleistet, als Assistent kann ich es nicht beurteilen. Falls jemand Jens Keller nicht kennt, hier ein Zitat aus der Wikipedia:

“Jens Keller spielte viele Jahre als solider und verlässlicher Verteidiger im deutschen Profi-Fußball.”

Na also. Solidität und Verlässlichkeit, das brauchen wir. Bräuchte übrigens auch die Vereinsführung – Vertragstreue und so. Immerhin haben wir in den letzten Jahren gesehen, dass die ganz großen Nachwuchshoffnungen in der deutschen Trainerszene selten die ganz großen Spieler waren. Von der fußballerischen Reputation her dürfte Jens Keller den Herren Rangnick, Klopp und Tuchel etwas näher stehen als Kohler, Brehme und Littbarski. Werde ich polemisch? Das tut mir leid. So ist es halt manchmal, wenn man wütend ist. Übrigens war Brehme schon als Co-Trainer in Stuttgart tätig und Kohler mindestens einmal heißer Trainerkandidat. Honi soit…

Ich gönne Jens Keller diese Chance. Grundsätzlich. Und ziehe eine verlängerte Interimslösung jedem Versuch mit Daum, Balakov oder einem anderen Helden der Vergangenheit vor. Aber ich will mich heute noch nicht damit befassen. Ich will Christian Gross nachtrauern. Seine Verdienste würdigen. Sein “sich nich nicht vereinnahmen lassen” feiern. Ich will schmollen. Mich aufregen. Die Kompetenz der Vereinsführung anzweifeln. Sie beschimpfen. Den Aufsichtsratsvorsitzenden vom Hof jagen.

Ach, lassen wir das. Love’s Labour’s lost.

0 Gedanken zu „Love's Labour's Lost

  1. sehe ich genauso. entweder hat gross den rauswurf heute provoziert oder es ist einfach unfassbar dumm.

    und, ja: lieber keller als eine der üblichen vfb-retro-lösungen auf der bank.

  2. Daum. Dann kommt auch Podolski in der Winterpause 😉

    Mir ging es ähnlich, als erst Jol und dann Beiersdorfer bei uns gingen. Man versteht einfach die Welt nicht mehr…

  3. Habe ich richtig Verstanden, dass Du noch nicht viel über Jens Keller weißt? Dass Du dann eine “verlängerte Interimslösung” einem Engagement des Meisters Daum vorziehst, verwundert mich etwas.

    Gut, mit Daum kauft man auch Brimborium ein. Aber deshalb ist er trotzdem ein guter Trainer.

    Das nachtrauern wollen zu Gross kann ich aber gut nachvollziehen. Schade um diesen Trainer in der Liga.

  4. Ich bin einfach nur perplex und konsterniert.

    (Zumindest in Sachen Zeitpunkt könnte man allerdings argumentieren, dass ja ohnehin der Großteil des Kader die letzten 10 Tage unterwegs war, v.a. die wichtigeren Spieler. Aber eigentlich ist mir nun mal grad so überhaupt nicht nach Verteidigen der Vereinsentscheidungen.)

  5. @Herr Wieland:
    Die Verlängerung einer Interimslösung steht ja nur dann zur Debatte, wenn sie einen gewissen Erfolg gebracht hat. Dennoch müsste ich vielleicht etwas umformulieren:

    Über eine positive, gegebenenfalls gerne auch langfristige Entwicklung unter Jens Keller würde ich mich freuen. Grundsätzlich ziehe ich eine Trainersuche nach rationalen Gesichtspunkten einer Orientierung an gemeinsamen Heldentaten vor. Wenn die rationalen Erwägungen zu einem früheren Helden führen sollten, könnte ich mich in den meisten Fällen damit arrangieren. Mit einer Ausnahme, bar jeder ratio: jede Lösung, die nicht Christoph Daum beinhaltet, ziehe ich jeder Lösung mit Christoph Daum vor.

  6. die große frage ist ja, ob der vfb es schafft, seinen gewohnten rückrundennachbrenner schon am spielag 8 zu zünden.

    ansonsten könnte man auch jens keller opfern, dessen aufgabe bis zur winterpause es ist, den abstand auf die nichtabstiegsplätze nicht allzu groß werden zu lassen, um dann wieder ins zweite glied zu rücken.

    wer dann den posten des chefcoachs übernimmt, ist egal (daum, balakov, lehmann, buchwald, der busfahrer), da die mannschaft trotzdem erfolgreich sein wird.

    1. Zumindest war er es mal. Seine Erfolge mit Köln, Stuttgart und Leverkusen und auch in der Türkei stehen nun mal in seiner Vita. In den letzten 10 Jahren ist da natürlich nicht mehr viel hinzugekommen.

  7. Gestern hörte man ja vielerorts, dass man daran nun wirklich nicht geglaubt hätte und meinte die Niederlage der Türkei bei Berti Vogts’ Aserbaidschanern. Besser hätte die Aussage tatsächlich auf die heutige Trainerentlassung gepasst. Unglaublich und der zweite fähige Fußballtrainer aus der Schweiz nach Favre, der von außen betrachtet unnachvollziehbar seinen Hut nehmen musste. Bleibt zu hoffen, dass sich das nicht wie bei den Herthanern ausgeht..

    Bloß gut, dass Matthäus jetzt schon einen neuen Job hat. 😉

  8. “jede Lösung, die nicht Christoph Daum beinhaltet, ziehe ich jeder Lösung mit Christoph Daum vor.”

    Winnie Schäfer vergessen (und ja: “denen da oben” traue ich mittlerweile alles zu, um mal den neuen Stuttgarter Duktus zu verwenden), dennoch absolute Zustimmung.
    Aber Christian Gross zu entlassen ist falsch, falsch, falsch. Unfassbar.

  9. ja.

    (hier könnte ein eloquenter, sorgfältig recherchierter, eventuell sogar ausgefuchster und/oder polemischer Beitrag stehen. Er würde meinem Denken nicht so gerecht werden wie dieses Wort.)

  10. Das Motto von Stuttgart im Bezug auf seine Führung für die nächsten Wochen muss lauten: Alles muss raus!
    Staudt raus, Schneider raus, Raus,Bobic raus! Wo ich schon dabei bin gleich noch Mappus raus, Grube raus, Schuster raus! Und vor allem: Hundt raus!!

    (Ich bin einfach nur wütend und rationalen Argumenten nicht zugänglich, also versucht es erst gar nicht.)

  11. Schließe mich den nicht rationalen Forderumgen @felixx’ an. War nicht allen in den letzten Jahren entlassenen Trainern gemein, dass sie nach einer bestimmten Zeit öffentlich Kritik übten, an den immer gleichen Themen(z. B. Einkaufspolitik)? Und dafür sofort abgestraft wurden? Auch wenn sich der Trainerwechsel positiv auf die sportliche Entwicklung auswirkt – die Herren sollten mal dieses immer gleiche Schema reflektieren…wobei…dann müssten sie sich ja selbst…

  12. ich wollte dem Vorstand schon vor 3 Wochen einen Vorschlag unterbreiten: Gross bis zum Ende der Saison beurlauben (im tatsächlichen Sinne), Babbel aus Berlin ausleihen und dann für die neue Saison wieder Groß installieren…

  13. […] heinzkamke vom angedacht-Blog kann es eigentlich noch immer nicht so wirklich fassen. Er sieht schon “den Mann in Blau” auf der Stuttgarter Trainerbank sitzen. Die Schnupfennase, die fast mal Bundestrainer geworden wäre und generell einen guten Draht zum derzeitigen Stuttgarter Hauptsponsor pflegt. Kleiner Tipp: Der Name des gesuchten Kandidaten sitzt meistens direkt neben dem Zeigefinger und ist auf Uli Hoeness nicht gut zu sprechen. […]

  14. Zunächst mal möchte ich bemerken, dass ich keineswegs sticheln will oder Scharmützel eröffne. Ich stichle, wenn überhaupt, grundsätzlich erst nach den Spielen. Mein Verein ist selbst in erfolgreichen Phasen derart unzuverlässig, dass ich mich vorher-sticheln grundsätzlich nicht traue.

    Auf des Trainers Frage hat Mahqz ja schon passend geantwortet. Ich wüsste nicht, welche anderen Kriterien Erfolg schlagen sollten.

    Und dass das alles so lange her sein soll, ist natürlich nicht richtig. Der Mann ist österreichischer Meister2003, türkischer Meister 2005 und hat auch letzte Saison mit Fenerbace den Titel erst am letzten Spieltag um einen Punkt verpasst. Meines Erachtens ist es auch ein Erfolg, Köln auf Platz 8 der zweiten Liga zu übernehmen, im nächsten Jahr aufzusteigen und im 3. Jahr in der ersten Liga nichts mit dem Abstieg zu tun zu haben.

    Ich habe auch Spaß daran, mich über Krankenhaus-PKs lustig zu machen. Ich finde nur man sollte nebensächliches nicht zur Hauptsache erklären. Allerdings ist mir aus eigener Erfahrung klar, dass man als „Betroffener“ einen anderen Blick auf eigene Ex-Trainer/Funktionäre haben kann. Deshalb will ich auch gar nicht länger auf Herrn Daum rumreiten. Auf meine erste Verwunderung wurde ja geantwortet. Danke dafür.

  15. @Schwob
    Noch viel günstiger wäre es gewesen, Gross eine Perücke aufzusetzen und ihn als den neuen Trainer vorzustellen.

Schreibe einen Kommentar zu nedfuller Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert