Beidfüßig

Kennt jemand von den werten Lesern wirklich beidfüßige Spieler? Ich meine nicht Leute wie Trochowski, der gerne auch mal mit dem schwachen Fuß einen Gewaltschuss ablässt, der diesen Namen verdient hat, und auch nicht die Pizarros und Gomez’ dieser Welt, die aus 10 Metern mit beiden Füßen das Netz durchschießen können, sondern Spieler, die sich kurz vor dem Anlauf, vielleicht in Abhängigkeit von der gestellten Mauer, überlegen können, mit welchem Fuß sie zum Freistoß antreten werden. Oder gar auf dem Weg zur Eckfahne. Gibt’s da jemanden? Aus der Bundesliga, oder auch aus irgendeiner anderen ersten Liga? Ich weiß nicht einmal, ob Andreas Brehme so weit ging, Eckbälle mit beiden Füßen zu schlagen.

Aliaksandr Hleb tut es. Seit einigen Wochen tritt er Eckbälle mit links. Diese Eckbälle sind nicht schlechter als die des Linksfüßers Thomas Hitzlsperger, ganz im Gegenteil. Während Hitzlspergers Ecken in der Regel an der kurzen Torraumecke in Hüfthöhe geklärt werden, erreichen sie bei Hleb durchaus Kopfhöhe; den vordersten Abwehrspieler passieren sie jedoch auch nicht. Mit dem rechten Fuß durfte sich gestern erstmals Sebastian Rudy versuchen, der häufiger, allein der Höhe wegen, die Tormitte erreichte, dem Ball aber so wenig Wucht mit auf den Weg gab, dass bestenfalls Kopfballspieler vom Schlage der Herren Hrubesch, Pizarro oder Ballack daraus etwas Zählbares hätten machen können. Die hat der VfB allerdings nicht. Fazit: ungefähr 13:1 Ecken, aber keine ernstzunehmende Torchance, die sich daraus ergeben hätte.

Ansonsten hat sich der VfB im Rahmen seiner derzeitigen Möglichkeiten bemüht. Einmal mehr spielte man 25 Minuten lang gefällig und kam zu einigen Chancen, von denen zwei oder gar drei als wirklich gut gelten dürfen. Danach war es, wie so oft, vorbei mit der Herrlichkeit Stuttgarter Spielkultur. Man ließ die Berliner, die zuvor wirklich nicht den Eindruck gemacht hatten, noch auf den Klassenerhalt hoffen zu dürfen, geschweige denn es zu tun, langsam ins Spiel finden, gab das in Ansätzen gezeigte Kurzpassspiel auf und zeigte eine Leistung, die denen der bisherigen Saison gerecht wurde. Und Markus Babbel sah diesem uninspirierten Kick bis zur 65. Minute zu, ehe er endlich wechselte. Wobei ich fairerweise einräumen muss, dass er zumindest in einem Fall möglicherweise einen Informationsvorsprung hatte und den von den Fans als Heilsbringer geforderten Elson aus gutem Grund nicht bringen wollte. Ich habe ihn auf dem Platz nicht gesehen. Und vor allem: er hat keine der durchaus zahlreichen Standardsituationen nach seiner Einwechslung getreten. Wenn es den einen Grund gibt, weshalb wir Elson sehen wollen, dann sind es doch zweifellos seine Ecken und Freistöße, die Gründe wurden oben genannt. Ich muss das nicht verstehen, aber ich würde gerne.

Unter dem Strich bleibt ein 1:1 gegen eine Hertha, über deren Sieg man sich auf Stuttgarter Seite nicht einmal hätte beschweren können, und die Tabelle lügt noch immer nicht. Nächste Woche in Leverkusen fehlt mit Kuzmanovic zudem der -für mich- gefühlte Kapitän, der nicht nur Siegeswillen zeigt, sondern mittlerweile auch noch die Tore schießt, schießen muss. Keine schönen Aussichten – auch nicht für Markus Babbel, der gestern erstmals deutlich vernehmbare “Babbel raus!”-Rufe zur Kentnis nehmen musste.

Lobend erwähnen möchte ich doch noch Arthur Boka, der seine Form aus dem Länderspiel mitgebracht hatte, den souveränen Niedermeier und den engagierten Pogrebnyak, sowie zumindest für die erste Halbzeit Sebastian Rudy, der erstmals über die volle Distanz spielte. Und last not least, das hätte ich mir nicht träumen lassen, Peter Gagelmann, der ein richtig gutes Spiel ablieferte. Vielleicht sollte ich ihn mir doch öfter wünschen.

Bei einem letzten Punkt weiß ich natürlich, dass ich mich regelmäßig wiederhole – doch selbst wenn es dem einen oder der anderen auf die Nerven gehen sollte, verliert der Punkt nicht seine Gültigkeit: die Nachspielzeit in deutschen Stadien wird nach meinem Dafürhalten bestenfalls ausgewürfelt und dann um mindestens 50 Prozent gekürzt, anders kann ich mir das Procedere einfach nicht mehr vorstellen. In der zweiten Halbzeit fielen gestern zwei Tore, es gab vier Auswechslungen, und sechs gelbe Karten sowie ein Platzverweis (gelb-rot) wurden verteilt. Zwei der gelben Karten wurden wegen Zeitspiels vergeben, wobei allein die Verwarnung für Torhüter Drobny mindestens zwei Minuten kostete, nachdem er zuvor schon in einigen anderen Situationen ermahnt worden war.

Nachspielzeit: 1 Minute.
Das kann ich einfach nicht mehr ernst nehmen.

PS: Über Hinweise zu beidfüßigen Könnern in den Kommentaren würde ich mich freuen. Beidhändige kenne ich indes seit vielen Jahren: Inigo und Westley.

0 Gedanken zu „Beidfüßig

  1. Also auf den ersten Gedanken fällt mir auch keiner ein. Vielleicht kommt da noch was…

    Das deutsche “Nachspielzeitsproblem” muss langsam mal in die Öffentlichkeit getragen werden. Selbst wenn ich persönlich gestern ganz froh war, dass ihr keine Zeit mehr bekamt, noch das 2:1 zu machen, war die eine Minute ein unfassbarer Witz.

  2. Als Jugendtrainer arbeite ich intensiv an der Ausbildung zur beidfüßigkeit, ist aber langwierig.
    Zum Thema Eckball möchte ich folgende Frage stellen:
    Ist es sinnvoll einen Eckstoss in Richtung Strafstosspunkt zu spielen, wenn sich dort die gesamte Mannschaft des Gegners aufhält? Un das geschah gestern bei jedem der 13 Eckstösse.

  3. My name is Inigo Montoya. You killed my father. Prepare to die.
    Der ganze Film ist ein Crowning Moment of Awesome für Inigo. Scheiß auf Westley.

  4. @Daniel:
    Schon klar, dass Du gestern froh warst. Letztlich trifft es uns ja alle in schöner Regelmäßigkeit, und das ist einfach ärgerlich.

    @Thomas G. Müller:
    Meines Erachtens eher nicht. Ich stelle mir das sicherlich viel zu einfach vor, aber gelegentlich wünschte ich mir schon einen scharfen Ball, den ein einlaufender Spieler auf Höhe des kurzen Pfostens mit dem Kopf verwertet. So wie Schalkes Farfan gestern, auch wenn der eher aus- als einlaufend war

    @erz:
    “To the pain” ist aber auch sehr groß. Ganz zu schweigen von “There’s a shortage of perfect breasts in this world”.
    Dennoch: Inigo, ja.
    Und Buttercup, aus anderen Gründen.

    1. Ganz hervorragend, da deckt sich doch sehr vieles mit meinen Beobachtungen (ohne dass ich es so wunderbar formulieren könnte). Arthur Boka hat seine Form wahrscheinlich nicht nur “aus dem Länderspiel mitgebracht”, sondern zum ersten Mal in dieser Saison zwei Wochen lang systematisch trainiert. Da Markus Babbel nicht entlassen werden darf, wäre mein Vorschlag zum Klassenerhalt die Verpflichtung weiterer ivorischer Nationalspieler.

  5. Was habt Ihr nur alle mit dieser Nachspielzeit? Die eigentliche Spielzeit einer Fußballhälfte sind 45 Minuten. Mehr nicht. Egal, was passiert.

    Diese Sonderdingens, Auswechslung, Torjubel, das gehört eigentlich zum Spiel dazu.

    Von mir aus könnte man die Nachspielzeit abschaffen.

  6. @Trainer:
    “Die eigentliche Spielzeit einer Fußballhälfte sind 45 Minuten. Mehr nicht. Egal, was passiert.”

    Naja, die offiziellen Regeln sehen das schon ein wenig anders:

    “In jeder Spielhälfte wird die Zeit nachgespielt, die verloren geht für  Auswechslungen, Verletzungen von Spielern, Transport verletzter Spieler vom Spielfeld, Zeitschinden oder jeden anderen Grund.
    Die nachzuspielende Zeit liegt im Ermessen des Schiedsrichters.”

    “…Nachspielzeit abschaffen”
    Und die Zeitnahme in die Hände einer großen, tickenden Stadionuhr legen, die sich angesichts dieses Vorschlags nicht einmal um Verletzungen zu scheren bräuchte, oder um einen Pfostenbruch. 😉

    Ernsthaft: wenn die Schiedsrichter in der Lage (manchmal auch willens) wären, Zeitspiel wirkungsvoll zu unterbinden, könnte ich mich mit Deinem Gedanken anfreunden. Solange sie aber beispielsweise den ausgewechselten Spieler, der zur Seitenlinie schleicht, nicht vom Platz tragen und maximal mit einer Karte belegen können, die der gegnerischen Mannschaft nicht hilft, braucht es die Nachspielzeit als Sanktionsmittel.

    Nach Möglichkeit einheitlich, und unabhängig vom Spielstand.

    Deutlich ausführlicher (und ebenfalls kontrovers) wurde das Thema übrigens vor einiger Zeit im Sportmedienblog diskutiert.

    @jon dahl: Schleimer

  7. Ich bin sprachlos. Unser VfB hat ein Spiel gewonnen. U N F A S S B A R

    Noch unfassbarer:
    Sebastian Rudy FUSSBALLGOTT!!!

  8. Er darf es leider nie zeigen bzw. beweisen, aber der Boenisch von Bremen ist beidfüßig. Fällt halt nur nie auf, weil er immer links spielt, aber der kann genausoschlecht mit rechts flanken 😉 Okay, der letzte Nebensatz war n Scherz, aber ich bin mir ziemlich sicher mal gelesen und auch gesehen zu haben, dass er beidfüßig ist.

  9. Da muss ich mal drauf achten. In der Tat hab ich schon den einen oder anderen Fernschuss von ihm mit rechts gesehen, ob da allerdings mehr dahinter steckt, weiß ich nicht. Wobei ich zugeben muss, dass er mich bisher gerade in Sachen Technik nicht so recht überzeugt hat und ich mir vielleicht auch deshalb die ausgeprägte Beidfüßigkeit gar nicht vorstellen konnte. Schießt er Standards?

    1. Duden sagt:
      beid|fü|ßig :
      1. mit beiden Füßen; beide Füße betreffend: b. abspringen.
      2. (Sport) mit …

      Deine Interpretation geht doch eher in Richtung zweifüßig, oder (ohne jetzt in eine metrische Diskussion eintreten zu wollen)?

  10. @heinzkamke: gerade am letzten WE hat er zweimal schön mit rechts aus der Distanz abgezogen, leider erfolglos. Standards wir er bei Bremen aber nie schießen, wenn die Özil, Marin, Naldo und Pasanen haben. Sein bisher einziger Treffer in der BL war auch mit rechts.

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